tejason
Aktives Mitglied
Zitat:
El Quijote
Ich bestreite auch weiterhin die Möglichkeit von individuellen Entscheidungen Personenverbandsgebundener. Da kannst Du mich mit einem Wiki-Zitat nicht sehr beeindrucken. Solche Entscheidungen waren denen vorbehalten, die an der Spitze dieser Personenverbände standen (und ein Personenverband ist mehr als nur eine Familie) und hatten natürlich Konsequenzen für alle anderen Mitglieder des Personenverbandes: Familienangehörige, Klienten und ihre Familienangehörige, Sklaven.
Seis drum.
Es geht mir auch nicht darum, Dich zu beeindrucken.
Es geht um den Austausch von Argumenten, Quellen und Meinungen. Und da stehst Du mit Deiner Meinung allein.
….
Aber, Deine Meinung, sie sei Dir gelassen.
Das Zitat von EQ oben hat durchaus Substanz. Die Oberhäupter der Personenverbände bestimmten für ihren Anhang und Gefolge mit ab und das war Verbindlich. Trat ein solcher Verband einer „fremden gens“ bei, dann war dies in erster Linie eine Angelegenheit zwischen dem Oberhaupt des Personenverbandes einerseits und den/dem Repräsentanten der „fremden gens“ Andererseits.
Individuell freie Entscheidungen Einzelner, „normaler Menschen“ spielten hier eine äußerst untergeordnete Rolle. Sie konnten bestenfalls hoffen an (relativ) herausgehobener Stelle in einen solchen Personenverband aufgenommen zu werden und dadurch Angehöriger einer anderen gens zu werden. Die Oberhäupter der Personengruppen konnten wohl auch relativ frei über die soziale Stellung der „Neumitglieder“ innerhalb ihres Verbandes entscheiden. Das gern zitierte Beispiel des ehemaligen römischen Kaufmanns am Hofe König Attilas, der von einem „Blinden Schicksal“ getrieben erst zum Sklaven der Hunnen wurde um dann später zum Krieger aufzusteigen ist Bezeichnend. Von der Abstammung her war er „Römer“. Indem er versklavt wurde, gehörte er nach „barbarischem Verständnis“ nun zum Personenverband (oft auch gerne, nicht zu Unrecht als Familienverband bezeichnet – auch wenn die Familie nur ein Teil, wenn auch der Kern solcher Verbände war!) seines Herrn. Indem er sich im Kampf bewährte, erhob sein Oberhaupt ihn zum Krieger und doch blieb er wohl weiter im gleichen Personenverband zu dem er rein ethnisch gesehen, ursprünglich keinerlei Verbindung hatte!
Hier zeigt sich auch das zwiespältige Gesicht dieser Personenverbände. Während früher gerne der familiäre Kern dieser „Sippen“ betont wurde – und damit ihren angeblich so „ethnisch reinen Charakter“ hervorhob, wird inzwischen mehr auch der „gemischtethnische Aspekt“ dieser Gruppen betont. Aufnahme in einen solchen Verband zu finden dürfte auf vielerlei Weise möglich gewesen sein: Von der Einheirat oder Adoption bis hin zur Versklavung. Auch konnten theoretisch andere „Personenverbände“ sich komplett einer solchen Gruppe unterstellen und dabei selbst Teil des größeren Verbandes werden – als Klientel etwa, wie es in EQ’s Zitat zu finden ist.
Im Übrigen sehe ich nicht dass EQ die Bezeichnung „Volk“ wirklich im Sinne des 19. Jht. verwendet. Wenn man seine Beiträge im Wesentlichen im Sinne von Repos anfänglichen Zitaten liest (also bevor der „Streit“ richtig ausbrach), beleuchtet er nur die andere Seite des „multiethnischen“ Charakters der Völker der Völkerwanderungszeit. Durch seine Einschränkung der Bedeutung des Willens „jedes Einzelnen“ und Betonung der „Sippen“/Personenverbände macht er nur ein wichtiges Detail fest.
Erst nach den Reichsbildungen, also nachdem die Völker sich niedergelassen hatten und wieder feste Wohnsitze ihr Eigen nannten, wurden die Gesetze in ihren Reichen kodifiziert: Generell immer auf dem Boden des Römischen Reiches und in Anlehnung an römisches Recht! Denn erst bei der neuen Landnahme fand die Ethnogese eines solchen Volkes einen (vorläufigen) Abschluss: Die relative „Durchlässigkeit“ für Neumitglieder während der Wanderungen endete dann meist wieder. Regelungen zwischen den römischen Kaisern und ihren Foederierten sollten sicherstellen, dass es zu möglichst wenig Reibungen zwischen beider Zuständigkeitsbereichen geben sollte. Später dann, als sich die Reiche endgültig von Rom emanzipiert hatten, blieb die Stellung der Angehörigen des „Staatsvolkes“ gegenüber den unterworfenen Provinzialen weiterhin herausgehoben durch ihre Sonderrechte, wie sie sich dann auch in das frühe Mittelalter hinein als besondere Rechtsstellung manifestierte. Das „einstige Volk“ konnte so zur Basis eines eigenen „Standes“ innerhalb des Reiches werden.
Weder die Goten noch die Langobarden betrieben in ihren Herrschaftsgebieten eine Politik der Verschmelzung mit den Indigenen. Einzig die Franken, wie es sich unter Chlodwig I. zeigt, blieben nach der Landnahme relativ offen für die Aufnahme provinzialer Personengruppen und verschmolzen so letztlich mit den Galloromanen im Westen zu den heutigen Franzosen. Dies war aber wohl nicht direkte Folge einer zielgerichteten Politik ihrer Könige, sondern erklärt sich teilweise auch durch die „Feudalisierung“ ihres Reiches, in dem die „gemeinfreien“ Franken relativ rasch ihre Bedeutung für den Bestand des Reiches verloren und eine dem König anfänglich eng verpflichtete neue Oberschicht als Vasallen zu Trägern eines feudalen Reiches wurden. Inwiefern diese massive Aufnahme von „Neufranken“ diesen Prozess erst ermöglicht hat oder nur beschleunigte, lasse ich offen.
Ich habe bewusst die Veränderungen zum Mittelalter hin nur anskizziert. Das Thema sprengt jeden Rahmen. Es soll nur ein kleiner Ausblick auf Späteres sein.
@Diskussion um Arbeitsethos & Ende der Antike durch neue Parameter der Gesellschaft: Sehr interessant! Ich lese aufmerksam mit..
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