maelo
@ Tela
Ich denke, dass Dir nicht bewusst ist wo die Brukterer gesiedelt haben.
Ich stütze mich dabei auf das, was die Forschung dazu ergeben hat. Ein Gebiet mehr oder weniger an der Lippe bis hin zur oberen Ems.
Ansonsten sind mir deine Ausführungen nicht erklärbar.
Den fett gedruckten Satz habe ich nie geschrieben.
Komisch. Ich erinnere mich auch, den gelesen zu haben. Beim Zitieren konnte ich ihn dann nicht mehr finden. Okay, jetzt steht er nicht mehr drin, lassen wir es also...
Die Diskussion berührt hier einen Punkt, der mir schon längere Zeit im Kopf herumgeht. Vielleicht würde sich dazu mal ein eigenes Thema lohnen: Gab es die Stämme überhaupt?
@Maelo:
Strabo nennt in seinem Bericht über den Triumphzug für Germanicus die Stämme, die verheert worden sind. Das muss zwar nicht alles während dieses ersten Feldzugs passiert sein. Es lässt aber deutlich werden, dass die feindselige Aufmerksamkeit der Römer nicht allein den Brukterern gegolten hat.
Was die Wohngebiete der Brukterer betrifft, leitest Du Deine Theorie aus den Angaben von fünf römischen Geschichtsschreibern ab und ignorierst dabei, dass sich aus deren Texten fünf verschiedene Lokalisierungen ergeben – von der Küste bis zur Lippe, vom Rhein bis zur Weser. Genau genommen sind es sogar sechs Lokalisierungen, denn Tacitus verweist in den Annalen auf das Gebiet, in dem die Brukterer in der frühen Kaiserzeit siedelten, während er in der Germania (vermutlich) von ihrem Gebiet nach der Verdrängung durch Angrivarier (oder waren das Ampsivarier? Wird auch gelegentlich behauptet) und Chamaver spricht. Die Widersprüche zeigen sich auch in Deinen Ausführungen selbst. So gehst Du davon aus, die Brukterer seien Nachbarn der Friesen gewesen. Aber wo saßen dann die von Tacitus erwähnten Chamaver und Angrivarier (oder doch Ampsivarier?)? Die müssen doch eigentlich noch zwischen Friesen und Brukterern gehaust haben, denn gemeinhin wird angenommen, dass sie die Brukterer über die Lippe hinweg nach Süden abgedrängt haben. An anderer Stelle mutmaßt Du, die Brukterer hätten am Rhein gewohnt. Einigen Quellen nach haben aber zwischen Rhein und Brukterern die Tenkterer und Usipeter gesessen.
Wie wörtlich man die römischen Geschichtsschreiber nehmen darf, geht ebenfalls aus den Quellen hervor. So schreibt Tacitus in der Germania schwärmerisch von der „Vernichtung“ der Brukterer. Wie ist es dann erklärbar, dass 150 oder 200 Jahre später ein großer Teil der Frankeneinfälle nach Gallien von den Brukterern ausging, dass Brukterer bei der Schlacht auf den Katalaunischen Feldern auf beiden Seiten gekämpft haben und dass sich der Name ihres Stamms bis ins hohe Mittelalter hinein erhalten hat?
In einem anderen Thread habe ich einen Vor- und Frühgeschichtler mit der Erklärung zitiert, dass wir Namen und Siedlungsgebiete der germanischen Stämme nur aus den römischen Quellen kennen und dass sich keine dieser Angaben archäologisch belegen lässt. Wissenschaftliche Erkenntnisse zu den Siedlungsgebieten gibt es also nicht.
Stämme und Siedlungsgebiete aus römischen Quellen ableiten zu wollen, fällt auch deshalb schwer, weil die Geschichtsschreiber ständig neue Namen genannt haben. So erwähnt z.B. Strabo Stämme, die sonst nirgendwo auftauchen. Manche Namen scheinen in einer Quelle kurz auf und werden dann nie wieder erwähnt.
Das bringt mich zu meiner Eingangsfrage: Gab es die Stämme überhaupt? Oder war das alles ein „Irrtum“ der Römer? Oder haben sich die Stämme (wie Boris Dreyer es andeutet) erst durch den Einfluss der Römer gebildet?
Da es nicht direkt zum Thema gehört, reiße ich es nur an: Nach allem, was Völkerkundler und Soziologen uns gelehrt haben, sind Stammesgesellschaften keine festen Gebilde, die man mit Nationen vergleichen könnte. Sie gliedern sich in Sub-Stämme, die wiederum in Untergruppen zerfallen. Die kleinsten sozialen Systeme in einem Stamm sind Clans/Sippen. Also Gemeinschaften, die auf Verwandtschaft beziehungsweise Verschwägerung basieren. Eine übergeordnete Führung existiert nicht. Es gibt niemanden, der einen ganzen Stamm zum Beispiel in den Krieg rufen könnte. So betrachtet, erscheinen Stämme als lose Bündnisse kleinerer Gruppen, die nicht beständig sein müssen. Sie können wachsen und schrumpfen, zerfallen und sich zu neuen Zusammenschlüssen formieren. Es gibt keine „Stammesidentität“ und keine Kontrolle der Zugehörigkeit. Es gibt nur gemeinsame Interessen – wenn es sie gibt und nur solange gezielt an ihnen festgehalten wird (Stichwort Autopoiesis aus der Systemtheorie).
Wen haben die Römer also gemeint, als sie von Brukterern sprachen? Könnte es sein, dass dieselben Leute, die sich nach der Landnahme in Gallien "Usipeter" nannten, sich in ihren alten rechtsrheinischen Wohngebieten den Römern als Brukterer vorgestellt haben? (soll nur ein Beispiel sein)
Dass die Stämme nicht so fest gefügt waren, wie es in der Diskussion hier oft vorausgesetzt wird, deuten auch die römischen Quellen an. Zum Beispiel berichtet Strabo, ein Stamm sei in einem Jahr unterworfen worden und habe sich im folgenden Jahr „unter Preisgabe der Geiseln“ wieder erhoben. War das ein Vertragsbruch oder war da vielleicht einfach ein anderer Sub-Stamm am Werk, der sich an die Unterwerfung aus dem Vorjahr nicht gebunden gefühlt hat? Und wenn ein anderer Sub-Stamm verantwortlich war: Wie werden dann die Leute, die sich um Vorjahr unterworfen hatten, auf die „grundlose“ Ermordung ihrer Geiseln reagiert haben? Vermutlich waren sie stinkig und haben im nächsten Jahr selbst wieder zu den Waffen gegriffen – diesmal zusammen mit anderen Sub-Stämmen.
Kann es sein, dass die Römer bezüglich der Stämme einfach nur wild mit Namen um sich geworfen haben, weil sie keine Ahnung hatten, mit wem sie es eigentlich zu tun hatten? Dass sie deshalb mit ihrem eigenen Vorgehen die Stämme überhaupt erst zur Selbstgründung gezwungen und in den Krieg getrieben haben?
MfG