Romanisch-germanische Sprachgrenzen im frühen Mittelalter

Falls Dich die von Dir erstellte Karte noch interessieren sollte:

"Lachen ist als erstarrter Dativ Singular oder Plural ein alemannisches Wort mit der Bedeutung bei der Wasser- bzw. Sumpfstelle oder bei den Wasser- bzw. Sumpfstellen. [...] Die alten in Latein verfassten Quellen bringen ad lacum nie, sondern nur Lachun oder Lachen. Während Turicum für Zürich zur Römerzeit belegt ist, findet sich aus jener Zeit gar keine Nennung, welche sich mit Lachen verbinden liesse. Auch der Fund von römischen Münzen im See kann nicht als Beleg für einen römischen Siedlungsort genommen werden, sondern muss als Streufund bezeichnet werden (Jörger, Kunstdenkmäler March, 182). Noch viel weniger kann man auf ein keltisches Etymon *lokwâ 'See' rückschliessen, wie das Hubschmied getan hat (Hubschmied, Sprachliche Zeugen, 57). Diesen Ansatz hat Pokorny als unmöglich erklärt und ein gall. *lopâ 'Wasser, See' dafür angesetzt. Dieses hätte allerdings nie zu Lachen führen können (Pokorny, Zur kelt. Namenkunde, 238; NWOF 2, 1315). Deshalb geht man mit gutem Grund von einer alemannischen Benennung dieses Ortes aus"
 
Falls Dich die von Dir erstellte Karte noch interessieren sollte:
Es ist wie beschrieben nur eine Arbeitsskizze, und jede Anregung und Kritik ist hochwillkommen.
"Lachen ist als erstarrter Dativ Singular oder Plural ein alemannisches Wort mit der Bedeutung bei der Wasser- bzw. Sumpfstelle
Offenbar hatte ich wegen der Seenähe (lacus) hier auf eine Überprüfung verzichtet — wobei mich die alemannische Deutung noch nicht wirklich überzeugt, schließlich ist der Obersee alles andere als eine Lache.

Jedenfalls gilt die Gegend um Lachen als noch im Mittelalter romanisch dominiertes Gebiet.
 
[3] Daniel Gut: Lunnern. Londons Zwilling im Reusstal. Eine sprach- und kulturgeschichtliche Verortung von Siedlungsnamen. BoD, Norderstedt 2010, ISBN 978-3-8370-8758-1.

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Zwar ist zunächst Schwaben und Altbayern an der Reihe gewesen

Ich nehme an, Du hast diese Aufstellung verwendet:
https://epub.uni-regensburg.de/31392/1/Katalog der romanischen Ortsnamen in Bayern.pdf

Die scheint im Großen und Ganzen in Ordnung zu sein, einige Merkwürdigkeiten sind mir hier und da aufgefallen. Insbesondere die Erklärung von Füssen als "Latinisierung von germ. *fōt-(u-) ‚Fuß’" - dem würde ich doch gerne noch nachgehen, sehr plausibel scheint mir das nicht.

Ein grober Überblick über die Verteilung in Schwaben zeigt, dass sich die heutigen, auf lateinisch-romanischer Grundlage entstandenen Siedlungsnamen zwischen Donau und Alpen ähnlich verteilen wie bei einer Zufallsstreuung. Dass man hieraus Hinweise auf eine nachrömische Sprachgrenze gewinnen könnte, erscheint ausgeschlossen.
 
Wird jetzt wieder getrollt? ;)
Entschuldige bitte, ich bin müde gewesen gestern und hätte nicht mehr antworten sollen.

Der Wallgau ist natürlich ein ganz interessanter Fall, da man nur ringsum romanische Siedlungsnamen findet, was wiederum zum pagum desertum von 763 passt. Die Romanen hatten sich aus dieser Gegend also offenbar schon zurückgezogen, als, vielleicht in Folge der Errichtung des Klosters Benediktbeuren vermehrt germanische Siedler eintrafen und auch die ungünstigeren Lagen besiedelten. Und obwohl Wallgau auf den ersten Blick leicht als verschliffener Waldgau verstanden werden könnte, spricht gegen diese Deutung doch eben die erste Erwähnung als uualhogoi, die, unterstützt vom Walchensee, dafür spricht, dass Germanen dort im 7. Jh. noch Romanen angetroffen hatten.

Weit mussten sich diese Romanen ja auch nicht zurückziehen, nur ein paar Kilometer südlich in die klimatisch günstigeren Gefilde des Inntals, in dem die romanische Welt noch eine ganze Weile weiterlebte (und ganz oben am Inn auch heute noch weiterlebt).

— Danke für den Hinweis auf Lunnern nebst Karte und Literaturempfehlung!
Ja, genau.
Die scheint im Großen und Ganzen in Ordnung zu sein, einige Merkwürdigkeiten sind mir hier und da aufgefallen. Insbesondere die Erklärung von Füssen als "Latinisierung von germ. *fōt-(u-) ‚Fuß’" - dem würde ich doch gerne noch nachgehen, sehr plausibel scheint mir das nicht.
Das habe ich geflissentlich ignoriert. ;)
Ein grober Überblick über die Verteilung in Schwaben zeigt, dass sich die heutigen, auf lateinisch-romanischer Grundlage entstandenen Siedlungsnamen zwischen Donau und Alpen ähnlich verteilen wie bei einer Zufallsstreuung. Dass man hieraus Hinweise auf eine nachrömische Sprachgrenze gewinnen könnte, erscheint ausgeschlossen.
Leider ist meine Karte ja in den blau-weißen Datenhimmel aufgestiegen, aber Cluster und Ketten entlang alter Verkehrswege wie in der Schweiz ergaben sich da auch, am deutlichsten natürlich um das von Dir schon erwähnte romanische Salzburg und entlang der Donau von Regensburg bis Passau. Ebenfalls auffällig ist die Konstellation von Augsburg, Epfach und Partenkirchen entlang der Via Raetica — eine Route entlang der etwa romanische Kaufleute weiterhin Kontakt mit der lateinischen Welt hätten halten können, die dazumal schon im Raum Innsbruck begann.
 
Zuletzt bearbeitet:
Leider ist meine Karte ja in den blau-weißen Datenhimmel aufgestiegen, aber Cluster und Ketten entlang alter Verkehrswege wie in der Schweiz ergaben sich da auch, am deutlichsten natürlich um das von Dir schon erwähnte romanische Salzburg und entlang der Donau von Regensburg bis Passau. Ebenfalls auffällig ist die Konstellation von Augsburg, Epfach und Partenkirchen entlang der Via Raetica — eine Route entlang der etwa romanische Kaufleute weiterhin Kontakt mit der lateinischen Welt hätten halten können, die dazumal schon im Raum Innsbruck begann.

Die Ketten erkennt man aber nur als solche, wenn man die Verkehrswege schon kennt. Das heißt: Die Verteilung der Namen auf der Karte liefert für sich genommen eigentlich keine Information.

Ein großer Teil des Tiroler Inntals blieb noch bis ins Hochmittelalter romanisch. Die germanische Besiedlung - offensichtlich über das Seefelder Plateau - setzte um Zirl schon sehr früh ein: Teriolis > Zirl bekam noch die Lautverschiebung zu spüren, und von Pfaffenhofen bis Innsbruck (genaugenommen: Hötting, der Markt Innsbruck auf der rechten Innseite wurde erst im 12. Jh. gegründet) gibt es reichlich alte -ing-Namen. Der Name des Klosters Wilten (Veldidena) wurde auch schon früh eingedeutscht.

Die um 1050 bestehenden Sprachgrenzen lassen sich zum Teil aus der Betonung der Ortsnamen rekonstruieren. Die früher eingedeutschen Ortsnamen werden auf der ersten Silbe betont, später wurde die romanische Betonung beibehalten.
"So muss beispielsweise *Abuzánes, die romanische Vorform von Absam, vor 1050 eingedeutscht worden sein, sonst wäre die heutige Betonung nicht erklärbar, also: *Abuzánes > *Ábzanes > Ábsam. Hingegen ist Tobadíll irgendwann im Hochmittelalter, sicherlich jedoch nach 1050 übernommen worden."
Peter Anreiter; Christian Chapman; Gerhard Rampl
Die Gemeindenamen Tirols: Herkunft und Bedeutung
Innsbruck 2009

Die oben genannten Ortsnamen Grinzens, Axams, Götzens, Natters, Mutters, Sistrans werden alle auf der ersten Silbe betont, sind also vor 1050 eingedeutscht worden.

Das gilt ausnahmslos für alle vorgermanischen Gemeindenamen im Bezirk Innsbruck: Aldrans, Ampass, Birgitz, Fritzens, Fulpmes, Matrei, Mieders, Sellrain, Telfes, Volders, Wattens...
 
Die Ketten erkennt man aber nur als solche, wenn man die Verkehrswege schon kennt. Das heißt: Die Verteilung der Namen auf der Karte liefert für sich genommen eigentlich keine Information.
Vielleicht verstehe ich Dich hier völlig falsch — aber warum sollten wir die sowohl uns als auch den Menschen des frühesten Mittelalters bekannten damaligen (Überland-)Verkehrswege hier ausblenden?
Die um 1050 bestehenden Sprachgrenzen lassen sich zum Teil aus der Betonung der Ortsnamen rekonstruieren. Die früher eingedeutschen Ortsnamen werden auf der ersten Silbe betont, später wurde die romanische Betonung beibehalten.
Darum heißt es im Gegensatz zu den nördlich des Hirschensprunges gelegenen Orten Konstanz und Bregenz südlich dieser mittelalterlichen Sprachgrenze Vaduz, Sargans, Ragaz und schließlich St. Moritz (rätorom. San Murezzan).
 
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Vielleicht verstehe ich Dich hier völlig falsch — aber warum sollten wir die sowohl uns als auch den Menschen des frühesten Mittelalters bekannten damaligen (Überland-)Verkehrswege hier ausblenden?
Ich schreibe nicht, dass wir die Wege ausblenden sollten, sie bilden halt keine Sprachgrenzen ab.

Der Wallgau ist natürlich ein ganz interessanter Fall, da man nur ringsum romanische Siedlungsnamen findet
Ich habe zu Altbayern noch keine Karte zusammengepfriemelt - wo siehst Du die nächsten romanischen Siedlungsnamen ringsum?
 
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Insbesondere die Erklärung von Füssen als "Latinisierung von germ. *fōt-(u-) ‚Fuß’" - dem würde ich doch gerne noch nachgehen, sehr plausibel scheint mir das nicht.

Da hat sich Albrecht Greule offensichtlich verformuliert, ich lese von ihm gerade eine Buchbesprechung von (Thaddäus Steiner, Füssen. Ehemaliger Landkreis Füssen. Historisches Ortsnamenbuch von Bayern, München 2005) in: Beiträge zur Namenforschung Band 41, Heft 4 (2006)
So klingt es vergleichsweise vernünftig:

Man könnte erwägen, ob in Füssen lat. fōtus‚ Partizip zu lat. fovere 'wärmen, hegen, pflegen, begünstigen usw.' - fota (castra) als Name des spätrömischen Kastells auf dem Füssener Schlossberg - vorliegt. Der Name wurde von Germanen übernommen und mit ihrem Wort für Fuß, *fōt-(u), identifiziert.​
 
Ich habe zu Altbayern noch keine Karte zusammengepfriemelt - wo siehst Du die nächsten romanischen Siedlungsnamen ringsum?
Nördlich des Wallgaus liegt Kochel und ein verdächtiges Großweil, im Süden und Südwesten finden wir Scharnitz und Parten(-kirchen), und etwas weiter im Nordwesten gelangt man auf der Via Raetica nach Epfach (Abodiacum), und schließlich nach Augsburg.

Die südlich des Wallgaus im Inntal gelegenen vielen ursprünglich romanischen Ortsnamen wurden ja schon angerissen: Telfs, Zils, Mutters etc. pp.

Da hat sich Albrecht Greule offensichtlich verformuliert, ich lese von ihm gerade eine Buchbesprechung von (Thaddäus Steiner, Füssen. Ehemaliger Landkreis Füssen. Historisches Ortsnamenbuch von Bayern, München 2005) in: Beiträge zur Namenforschung Band 41, Heft 4 (2006)
So klingt es vergleichsweise vernünftig:

Man könnte erwägen, ob in Füssen lat. fōtus‚ Partizip zu lat. fovere 'wärmen, hegen, pflegen, begünstigen usw.' - fota (castra) als Name des spätrömischen Kastells auf dem Füssener Schlossberg - vorliegt. Der Name wurde von Germanen übernommen und mit ihrem Wort für Fuß, *fōt-(u), identifiziert.​
Die Fußpflege war auch für dem Völkerwandersmann nicht zu vernachlässigen. ;)
 
Nördlich des Wallgaus liegt Kochel und ein verdächtiges Großweil, im Süden und Südwesten finden wir Scharnitz und Parten(-kirchen), und etwas weiter im Nordwesten gelangt man auf der Via Raetica nach Epfach (Abodiacum), und schließlich nach Augsburg.

Kochel ist garantiert kein romanischer Siedlungsname. Die Ersterwähnung lautet 739 "in loco Ascahi, qui nunc dicitur Chochalon". Also im Ort Ascahi (gut germanischer, von der Esche abgeleiteter Name, würde heute wohl Eschach oder so ähnlich heißen), der jetzt Chochalon heißt. Der Name des Sees wurde also auf den Ort übertragen. Und auch dieser ist höchstwahrscheinlich germanisch.

Scharnitz ist ebenfalls ursprünglich kein Siedlungsname, sondern im Gegenteil der Name einer unbewohnten Gegend, wie die frühen Nennungen eindeutig belegen: 763 "in solitudine Scarantiensę", 772 "Scaritiae deserti".

Partenkirchen ist zunächst ein deutscher Siedlungsname mit dem nicht zu bezweifelnden Grundwort "Kirche". Über das Bestimmungswort kann man diskutieren: Wurde die Siedlung nach der hier fließenden Partnach benannt (in diesem Fall wäre es ein alter Gewässername) oder erhielt der Fluss seinen Namen sekundär nach der bestehenden Siedlung?

Und ein Verdacht ohne ausreichende Verdachtsmomente...?
 
Abodiacum ist ja eindeutig ein keltischer Ortsname. Also nichts Romanisches. Also im Ggt. sogar vorömisch (oder zumindest zeitgleich).
 
Abodiacum ist ja eindeutig ein keltischer Ortsname. Also nichts Romanisches. Also im Ggt. sogar vorömisch (oder zumindest zeitgleich).

Doch, Epfach zählt. Das ist ein romanischer Siedlungsname (ungeachtet seines ursprünglich keltischen Hintergrunds).

Die Belegreihe (Abodiaco, Abuzaco, lies /abudjako/, locus Ephtaticus, lies /eptach/?, Epphach usw.) gibt mehrere romanische Lautwandlungen (Hebung /u/ > /o/, Synkope) zu erkennen. Die bairische Form des Namens geht von romanisch *Abdjak- (> *Eptach > *Eppach > Epfach) aus.

https://epub.uni-regensburg.de/31392/1/Katalog der romanischen Ortsnamen in Bayern.pdf
 
Nu, ich habe doch ein bischen gelesen, da ist ein Satz: Invenimus in insula quae Staphinseie nuncupatur ecclesiam in honore sancti Michaelis constructam, in qua repperimus altare auro argentoque paratum I.Capsas reliquiarum ...usw.
Ich kann euch nicht wirklich folgen, vielleicht habe ich es auch etwas übersehen, ich wollte nur einmal nachfragen, zu welchem Ergebnis ihr beim Staffelsee gekommen seid? Wie beurteilt ihr die Form Staphinseie?
 
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