Sollten Nazi-Verbrecher heute noch verurteilt werden??

Die Tatsache, dass Richter gewählt werden, halte ich in diesem Zusammenhang für vergleichsweise unbeachtlich, weil schon vor Gründung der Bundesrepublik auf Landesebene ein anfangs zumindest inoffizieller, später auch gesetzlich garantierter weltanschaulicher Proporz gewährleistet war. Außerdem wurden bis 1949 die meisten Richter von den Besatzungsmächten ernannt. Soweit mir bekannt ist, vergaben die einen den anderen nichts in puncto Milde. Politische Auswirkungen hatte da eher die Tatsache, dass es bis in die 1960er schlicht nicht genügend höhere Juristen ohne NS-Vergangenheit gab.
 
Politische Auswirkungen hatte da eher die Tatsache, dass es bis in die 1960er schlicht nicht genügend höhere Juristen ohne NS-Vergangenheit gab.
Die Staatsanwaltschaft war weisungsgebunden und wurde nicht zur Klageerhebung angewiesen.

Über die erste Verjährungsverlängerungsbebatte für Mord bin ich nur über ein von Jaspers geschriebenes Buch informiert. Es wirkt als ob der Bundestag nur sehr widerwillig wegen des Auslandes die Verlängerung beschlossen hat. Als wenn die meisten Abgeordneten aus ehrlicher Überzeugung eigentlich gegen die Verlängerung der Verjährung waren.
 
Die Staatsanwaltschaft war weisungsgebunden und wurde nicht zur Klageerhebung angewiesen.
Wir reden aneinander vorbei. Denn ja, es gab zweifellos politische Einflussnahme, und ja, ich stimme Dir zu: über die Staatsanwälte, die weisungsgebunden waren. Die Tatsache, dass Richter gewählt werden, halte ich dagen für unbeachtlich, darauf wollte ich hinaus. Es wurde schon früh in den Landtagen und bei der Militärregierung auf Proporz geachtet, trotzdem wurde so mancher braune Hemmschuh in einen Talar gesteckt, einfach weil (v.a. ab Landgerichtspräsident aufwärts) die Auswahl ziemlich begrenzt war.
Über die erste Verjährungsverlängerungsbebatte für Mord bin ich nur über ein von Jaspers geschriebenes Buch informiert. Es wirkt als ob der Bundestag nur sehr widerwillig wegen des Auslandes die Verlängerung beschlossen hat. Als wenn die meisten Abgeordneten aus ehrlicher Überzeugung eigentlich gegen die Verlängerung der Verjährung waren.
Ja … Die Engländer haben einen schönen Ausdruck dafür: can of worms. Diese Dose mit Würmern wollten viele Abgeordnete wahrhaftig aus ideologischen Gründen nicht öffnen.

Allerdings darf man auch die Orthodoxie der Juristen nicht unterschätzen (und unsere Abgeordneten waren schon immer v.a. Juristen). Wem es gelingt, die moralische Verantwortung des deutschen Staates auszuklammern, der Prozessökonomie zuwiderzuhandeln, der wird tatsächlich einige gute Gründe finden, warum selbst Mord verjähren sollte. Erst seit etwa 2000 ist die moderne Kriminalistik so weit, einen Täter auch nach Jahrzehnten noch halbwegs sicher zu überführen. Und noch heute will wohl kaum ein Richter einen Fall verhandeln, der Jahrzehnte zurückliegt. Allein sich mit den Zeugen in einem solchen Fall herumzuschlagen, erfordert Nerven.
 
daraus:
Der BGH bestätigte die Einschätzung des Landgerichts Itzehoe, dass Irmgard F. durch ihre Dienstbereitschaft psychische Beihilfe zu den Mordtaten leistete. Über den Schreibtisch der Stenotypistin war fast die gesamte Korrespondenz des Lagers gegangen.
psychische Beihilfe (durch Dienstbereitschaft)
Jurcoach Psychische Beihilfe als Fördern der Tat – Strafrecht Online -- Frage an die teilnehmenden Juristen: ist der Link ok oder ist das Laienquatsch?
 
Der Link passt schon. Die Falllösung zeigt auch die grundsätzliche Problematik auf, die sich mit dem Urteil eher verschärft hat, als dass für den Rechtsanwender Sicherheit geschaffen wurde. Der BGH hat mit diesem Urteil einen in den Nullerjahren angestoßenen Trend höchstrichterlich bestätigt, die Tatbeitragslehre extrem weit auszulegen. Denn selbst wenn wir jetzt einfach mal voraussetzen, dass die KZ-Sekretärin schon dadurch Beihilfe zum Mord leisten konnte, dass sie zum Dienst erschien und (bewusst salopp formuliert) dafür sorgte, dass im Büro des Kommandanten die Bleistifte immer schön geschärft waren (Bernhard Schlink hatte da 2022 in einem Aufsatz Zweifel geäußert), bleibt die Frage, worin der Tatbeitrag bestehen kann, wenn der Haupttäter ohnehin fest zur Tat entschlossen ist. Und das wird man bei einem KZ-Kommandanten und seinen Schergen ohne Weiteres voraussetzen können.
 
Die Schreibtischtäter sind eben Rädchen, die das Getriebe am Laufen halten. Wer im Besoldungsamt die Überweisungen für die Mörder ausfüllt und unterschreibt oder im Beschaffungsamt die Patronen für die Erschießungskommandos oder das Zyklon B bestellt, ist eben auch Täter. Denn nur durch ihn oder sie funktioniert das ganze.
 
bleibt die Frage, worin der Tatbeitrag bestehen kann, wenn der Haupttäter ohnehin fest zur Tat entschlossen ist. Und das wird man bei einem KZ-Kommandanten und seinen Schergen ohne Weiteres voraussetzen können.
Eine Antwort darauf hat @El Quijote gerade versucht:
Die Schreibtischtäter sind eben Rädchen, die das Getriebe am Laufen halten. Wer im Besoldungsamt die Überweisungen für die Mörder ausfüllt und unterschreibt oder im Beschaffungsamt die Patronen für die Erschießungskommandos oder das Zyklon B bestellt, ist eben auch Täter. Denn nur durch ihn oder sie funktioniert das ganze.
...so ganz zufrieden bin zumindest ich mit diesem Antwortversuch nicht... das Besoldungsamt bzw dessen subalterne Beamte als Täter?
 
Vorsicht, jetzt wird's trocken.
Hoffentlich kann ich trotzdem aufzeigen, warum der Fall ziemlich bedeutend ist und einige spannende Folgen haben kann.

@El Quijote & @dekumatland

Man wird nicht umhinkommen, das konkrete Wissen und Wollen des möglichen Mittäters zu berücksichtigen, denn darauf stellt das deutsche Strafrecht nun mal ab. Der Grad des verwirklichten Unrechts bemisst sich am Vorsatz des Handelnden, und nur mittelbar am Handlungserfolg.

Beispiel: A erschießt den B, weil er ihn mit dem ähnlich aussehenden C verwechselt hat, den er eigentlich um die Ecke bringen will.

Hier wird A nicht wegen Mordes an B verurteilt werden, sondern wegen Mordversuchs an C und Totschlags an B. Er hatte nicht den Vorsatz, B zu töten.

Im Stutthof-Fall tun sich zwei Probleme auf.

Problem 1: Nach unserem Strafrecht muss der Mittäter mindestens mit dolus eventualis (Eventualvorsatz) hinsichtlich der Haupttat gehandelt haben. Das heißt, es kommt nicht darauf an, ob der Mittäter die Folgen seines Handels von ganzem Herzen gewollt hat (er kann ja z.B. völlig gedankenlos handeln); aber er muss die Folgen seines Handelns mindestens vorausgesehen und billigend in Kauf genommen haben.

Bei der Mittäterschaft besteht die Tathandlung in einem entweder physischen oder psychischen Beitrag zur Haupttat.

Beispiel: A fährt für den Bankräuber B einen Fluchtwagen.
Beispiel: A redet auf den noch unentschlossenen B ein, er solle sich vorstellen, was er mit der Beute alles kaufen könne.

Der Tatbeitrag muss jedoch auch nicht unerheblich gewesen sein.

Beispiel: A plant einen Mord und besorgt sich dafür Plastikhandschuhe, damit er keine Spuren hinterlässt. B, der dies weiß, leiht A seine Lederhandschuhe, "weil die bequemer sind".

B ginge hier nicht straflos aus, würde aber jedenfalls nicht wegen Beihilfe zum Mord verurteilt. Er trägt zum Mordplan des A nichts bei; der könnte auch ohne bequeme Lederhandschuhe morden und keine Spuren hinterlassen (er hat seine Plastikhandschuhe ja bereits).

Das heißt: Irmgard F. müsste vorausgesehen haben, dass sie durch ihre Arbeit im KZ Stutthof die SS-Männer im Morden bestärkte (gleichsam anfeuerte), und es müsste ihr mindestens egal gewesen sein, dass dem so war.

Die SS mordete aber sowieso, war zur Tat fest entschlossen. Falls F. der Überzeugung war, dass es keinen Unterschied machen würde, ob sie nun in der Kommandantur brav Briefe abtippte oder nicht, könnte das gegen eine Strafbarkeit sprechen. Sie hat sich im Prozess wohl auch zumindest eingangs dahingehend geäußert (durch ihren Anwalt), dass sie sich für unbedeutend hielt.

Wohlgemerkt: Ich war beim Prozess nicht dabei, kenne nur die Zusammenfassung aus der NJW; ich weiß nicht, ob man ihr nachweisen konnte, dass sie sehr wohl glaubte, ein wichtiger Teil der Mordmaschine zu sein. Aber jedenfalls wollte ich es erwähnt haben, denn das Urteil damals wurde in der Literatur durchaus kontrovers diskutiert.

Problem 2: Nach Lehre und Rechtsprechung begründen sogenannte neutrale Handlungen mit Alltagscharakter keinen strafbaren Tatbeitrag.

Beispiel: B weiß, dass sein cholerischer Nachbar A mit seiner Noch-Ehefrau C einen erbitterten Rosenkrieg führt. Eines Tages kommt A wütend zum B, um sich dessen Axt auszuleihen. B denkt sich nichts dabei und gibt sie ihm. A geht schnurstracks zur C zurück und erschlägt sie.

In einem solchen Fall hat der BGH die Strafbarkeit des B verneint, weil man nicht erwarten könne, dass sich die Menschen bei einer Handlung, die in jedem anderen Kontext unverfänglich wäre, Gedanken machen, ob sie gerade jetzt eine Straftat unterstützen. Es muss schon ein Eventualvorsatz in Form eines Wissens oder Verdächtigens vorhanden sein, dass das, was der Haupttäter geleistet haben will, einer Straftat dienen soll.

Abgewandeltes Beispiel: Der Choleriker A marschiert zum B, um die Axt auszuleihen, und murmelt vor sich hin: "Ich bring die Schlampe um".

Hier ist die Sache klar, B weiß oder muss wissen, was passieren wird. Im Ursprungsbeispiel wirkte A aber nur so unleidlich wie immer ("cholerischer Nachbar"). Daher durfte B aus Sicht des Rechts gedankenlos bleiben.

Das ist insofern relevant, als Irmgard F. vielleicht in manchen konkreten Situationen wissen oder den Verdacht haben musste, dass sie Morde unterstützte.

Beispiel: Sie hackt ein Bestellformular für Munition in die Schreibmaschine.

Aber musste sie das immer wissen können, in jeder einzelnen Minute ihrer Arbeit (denn so wurde sie vom LG Itzehoe behandelt)?

Mein Herz will sagen: Ja, musste sie.

Mein Kopf weiß aber, dass ich das unmöglich beweisen kann. Eben deswegen stellt das Recht ja auch auf die nicht nur unerheblichen Tatbeiträge ab, es soll und kann nicht jeder noch so kleine Beitrag, der im Sinne der Schmetterlingstheorie erbracht wird, verfolgt werden.

Extremes Beispiel: Irmgard F. bestellt Klopapier für die Unterkünfte der SS.

Musste sie in diesem Moment wissen oder den Verdacht haben, dass sie das Morden unterstützt? Ich halte das für schlechterdings nicht begründbar, die Schergen hätten auch Zeitungspapier zum Abwischen oder sogar mit verdreckten Hosen morden können.

Die Sache ist nur: Bis vor kurzem hielt auch der BGH das nicht für begründbar. Deshalb hat er, irgendwann so um 2010 herum, dafür die Fiktion des Solidarisierens entwickelt. Dafür wurde F. denn auch bestraft: Dass sie, indem sie im KZ freiwillig arbeitete und sich passiv verhielt, sich mit den Tätern solidarisierte, und schon dadurch deren Taten Vorschub leistete.

Das mag sich im Extremfall KZ-Gehilfin irgendwie richtig und gerecht anfühlen, ist aber ziemlich radikal und folgenschwer.

Extrembeispiel: "Wutbürger" A postet in den sozialen Medien, dass er am liebsten dem nächsten Politiker, dem er begegnet, eine Backpfeife verpassen will. Der ebenfalls politisch unzufriedene B liest das und klickt auf 'Gefällt mir'. A ist begeistert, dass andere denken wie er, zieht los und greift einen Politiker an. Ist B also ein Mittäter des A?

Es gibt unzählige Fallkonstellationen, wo man jetzt ein "Solidarisieren" bejahen könnte.
 
Extrembeispiel: "Wutbürger" A postet in den sozialen Medien, dass er am liebsten dem nächsten Politiker, dem er begegnet, eine Backpfeife verpassen will. Der ebenfalls politisch unzufriedene B liest das und klickt auf 'Gefällt mir'. A ist begeistert, dass andere denken wie er, zieht los und greift einen Politiker an. Ist B also ein Mittäter des A?
Ja, B ist Mittäter des A. Ein Like ist die Bejahung des Gesagten und damit auch eine Bestärkung der Ansicht des A. Ohne Likes würde sich A vielleicht einsam fühlen und seine Haltung überdenken und von seinem Plan, der zum Zeitpunkt des Schreibens vielleicht noch kein Plan war, ablassen.

Das funktionierte schon immer: Ohne der Zustimmung/Schweigen durch viele Bürger wären Nazis nicht so stark geworden.

Die heutigen Sozialen Medien erlauben nur Zustimmungen, die Gegenstimmen werden nur in verbalisierter Form zugelassen, die aber vom Fadenstarter gelöscht werden können. Radikale Ansichten werden so gestärkt, Gegenstimmen nicht oder kaum wahrgenommen.
Sich in seinen Ansichten bestätigt fühlen, das schmeichelt einem. Und kann dazu führen, noch einen draufzulegen. Oder das einst nur so daher Gesagte in die Tat umzusetzen.
 
Aus meiner persönlichen Ansicht:

Wer davon weiß und sich der Tätigkeit, der Aktion, dem Ablauf oder wie man es je nach Situation nennen soll, ohne Gefahr für Leib und Leben entziehen kann, ist ein Mittäter.

Wenn eine Verweigerung ohne eigene erhebliche Gefährdung nicht möglich ist, sieht das anders aus.
 
Wir müssen zwischen Täterschaft und Teilnahme unterscheiden. Die KZ-Sekretärin wurde nicht als Mittäterin, sondern als Gehilfin verurteilt.

§ 25 Täterschaft


(1) Als Täter wird bestraft, wer die Straftat selbst oder durch einen anderen begeht.
(2) Begehen mehrere die Straftat gemeinschaftlich, so wird jeder als Täter bestraft (Mittäter).

§ 27 Beihilfe


(1) Als Gehilfe wird bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat.
(2) Die Strafe für den Gehilfen richtet sich nach der Strafdrohung für den Täter. Sie ist nach § 49 Abs. 1 zu mildern.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ja, wie das juristisch aussieht weiß ich natürlich nicht (jetzt schon) das ändert an der Sachlage aber nichts, ich kann auch das Wort "Mittäter" durch
"Gehilfe" ersetzen.
 
Ja, B ist Mittäter des A. Ein Like ist die Bejahung des Gesagten und damit auch eine Bestärkung der Ansicht des A. Ohne Likes würde sich A vielleicht einsam fühlen und seine Haltung überdenken und von seinem Plan, der zum Zeitpunkt des Schreibens vielleicht noch kein Plan war, ablassen.
Ich würde dem widersprechen.

Und zwar mit der Begründung, dass das deutsche Strafrecht einen separaten Straftatbestand kennt, der das Belohnen oder öffentliche Billigen von Straftaten betrifft und mit Strafe bedroht.

Der wäre aber eigentlich aus meiner Sicht überflüssig, wenn sich ein bloßer "like" bereits als Tatbeteiligung verstehen ließe.
Denn in diesem Fall müsste, selbst wenn es am Ende gar nicht zu einer Straftat durch A käme, weil der es sich anders überlegt B wegen eines Versuchs der Tatbetiligung belangt werden können.
Ebenso müsste sich dann eine erst nachträgliche Billigung als Widerholungsaufforderung verstehen lassen.

Da würde sich mir die Frage stellen, warum separate Bestrafung der Belohnung oder Billigung von Straftaten, wenn dies bereits durch die Bestimmungen zu Teilnahme und Täterschaft abgedeckt wäre?

So wie ich das aus meiner laienhaften Perspektive sehe, könnte sich B mit dem "like" möglicherweise wegen öffentlichen Billigens von Straftaten belangbar gemacht haben, aber Tatbeteiligung würde ich verneinen, und zwar mit der Begründung, dass für den B bei dieser Formulierung der Eindurck entstehen konnte, dass der A bereits fest zur Tat entschlossen war und der lediglich billigte, was der A ohnehin vor, oder möglicherweise bereits getan hatte, bevor der B das überhaupt zur Kennntnis genommen und geliket hat.

Mal davon ab, dass es nicht ganz einfach sein dürfte dem "B" überhaupt den notwendigen Vorsatz nachzuweisen, da er natürlich, wenn er das nicht weiter kommentiert hat auch versehentlich auf den "like"-Button gekommen sein könnte.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Sache ist nur: Bis vor kurzem hielt auch der BGH das nicht für begründbar. Deshalb hat er, irgendwann so um 2010 herum, dafür die Fiktion des Solidarisierens entwickelt. Dafür wurde F. denn auch bestraft: Dass sie, indem sie im KZ freiwillig arbeitete und sich passiv verhielt, sich mit den Tätern solidarisierte, und schon dadurch deren Taten Vorschub leistete.

Das mag sich im Extremfall KZ-Gehilfin irgendwie richtig und gerecht anfühlen, ist aber ziemlich radikal und folgenschwer.

Extrembeispiel: "Wutbürger" A postet in den sozialen Medien, dass er am liebsten dem nächsten Politiker, dem er begegnet, eine Backpfeife verpassen will. Der ebenfalls politisch unzufriedene B liest das und klickt auf 'Gefällt mir'. A ist begeistert, dass andere denken wie er, zieht los und greift einen Politiker an. Ist B also ein Mittäter des A?

Es gibt unzählige Fallkonstellationen, wo man jetzt ein "Solidarisieren" bejahen könnte.
Ich sehe hier einen relevanten Unterschied:
Wutbürger A erfährt, dass B ihm "zustimmt", und fühlt sich dadurch motiviert und bestärkt.
Den Mördern aus dem KZ hingegen war Irmgard F. vermutlich egal, sie nahmen sie als Kanzleikraft vielleicht nicht einmal wirklich wahr. Erst recht werden sie nicht gewusst haben, was Irmgard F. über ihr Treiben denkt, und es wird sie vermutlich auch nicht wirklich interessiert haben. (Umgekehrt wäre es ihnen aber vermutlich auch egal gewesen, wenn sie gewusst hätten, dass Frau F. nicht einverstanden ist.)
Mit dem Wutbürger-Beispiel wäre ihr Fall nur vergleichbar, wenn sich Irmgard F. sicht- und hörbar hingestellt und die Mörder angefeuert hätte.

Ganz unabhängig davon finde ich es jedenfalls bedenklich, wenn eine Rechtsprechung extra fortentwickelt wird, um Personen für (vor dieser Fortentwicklung begangene) Taten (oder Verhaltensweisen) bestrafen zu können, für die sie früher (in derselben Rechtsordnung) nicht bestraft worden wären. Auch wenn das formal kein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot im Strafrecht ist, läuft es im Ergebnis doch irgendwie dessen Zielsetzung zuwider.
 
Zuletzt bearbeitet:
Vorsicht, jetzt wird's trocken.
Hoffentlich kann ich trotzdem aufzeigen, warum der Fall ziemlich bedeutend ist und einige spannende Folgen haben kann.

Erst einmal Danke für die allgemeinverständliche Erklärung der juristischen Lage.

Letztendlich wird man in die Urteilsbegründung der Gerichte schauen müssen, wie eine (psychische) Beilhilfe in dem Falle gegeben war.

Die Entscheidung des BGH ist noch nicht veröffentlicht, aber die Entscheidung des vorgelagerten Landgerichts Itzehoe findet sich hier:

 
Ja, wie das juristisch aussieht weiß ich natürlich nicht (jetzt schon) das ändert an der Sachlage aber nichts, ich kann auch das Wort "Mittäter" durch
"Gehilfe" ersetzen.
Zwischen Mittäterschaft und Beihilfe besteht schon ein rechtlicher Unterschied, ich habe für die Darstellung hier aber das Wort Gehilfin bewusst nicht verwendet, denn das war auch die Berufsbezeichnung von Irmgard F. und hätte zu Verwechslungen geführt. Die Gehilfin Gehilfin Irmgard F.
 
Ja, mir ging es hier nur um die grundsätzliche Beteiligung an einer Tat. Wie der Schweregrad hier zu werten ist entscheiden eh die Juristen.
 
Ich denke, an diesem Prozess sind zwei Dinge wichtig, die natürlich unmittelbar miteinander zusammen hängen, nur dass der eine Aspekt rückwärtsgewandt und der andere vorwärtsgewandt ist.

Zum einen gibt es natürlich ein gewisses Ungerechtigkeitsempfinden, dass jetzt die "kleine" Schreibkraft für etwas verurteilt wird, wohingegen den Haupttätern oft mangels Nachweis an der einzelnen Tatbeteiligung Prozesse nicht gemacht oder sie freigesprochen wurden.
Das ist der rückwärtsgewandte Teil.

Der vorwärtsgerichtete Teil ist aber der: Wenn jemals wieder ein Genozid verübt werden sollte, sollte klar sein, dass die Mittäterschaft auch für das "kleinste" Rädchen im Getriebe zur Verurteilung führen kann.
 
Zum einen gibt es natürlich ein gewisses Ungerechtigkeitsempfinden, dass jetzt die "kleine" Schreibkraft für etwas verurteilt wird, wohingegen den Haupttätern oft mangels Nachweis an der einzelnen Tatbeteiligung Prozesse nicht gemacht oder sie freigesprochen wurden.
Das ist der rückwärtsgewandte Teil.
Im vorliegenden Fall erhielt der KZ-Kommandant (laut Wikipedia) gerade mal 9 Jahre, seine Schreibkraft hingegen 2 Jahre (wenngleich auf Bewährung) - und das nach dem an sich milderen Jugendstrafrecht.
 
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