Bevor du so vorschnell urteilst, mach dich doch bitte erst einmal mit dem Komplex vertraut.
Das ist wieder das übliche Abgekanzel. Mehr Informationen bedeuten nicht immer größere Sicherheit in den Schlussfolgerungen. "Schlechtes Verhältnis" einerseits, Flottengespräche andererseits sind ein Widerspruch, der eigentlich sogar Dir auffallen müsste.
Ich denke, du weißt selbst, das solche Ausführungen einer Diskussion nicht eben befördern; eher das Gegenteil.
Was dann passiert ist: zwei historische Werke nebeneinander, die ein und denselben Sachverhalt völlig unterschiedlich beurteilen. Der Nutzen für die Diskussion ist: jeder kann, und soll, sich sein eigenes Bild machen.
Und Neitzel schreibt mit seinem Werk bestenfalls eine oberflächliche Einführung in die jeweiligen Themen. Das ist bei dem geringen Umgang des Buches auch nicht anders zu leisten. Du kannst aber in solchen Werken keine erschöpfenden Auskünfte erwarten.
Nein, aber s.o. zu Informationen, wenn Neitzel nicht recht hätte, und aufgrund von mehr Detailkenntnis es Dir möglich wäre, ihn zumindest punktweise zu widerlegen, dann kannst Du das ja gerne machen. Oder wer immer das möchte. Die Schlussfolgerungen sind dann aber der Beurteilung hier im Forum ausgesetzt, und da können wieder ganz andere Einschätzungen erfolgen.
Beispielsweise war Grey doch sehr darum bemüht, die Beziehungen zum Deutschen Reich zu verbessern. Ausgangspunkt war das gmeinsame Krisenmangement während der Balkankriege 1912/13. So schreib Austin Lee nach einem Besuch im Foreign Office beispielsweis an Bertie, Tyrell und Grey seien "now very Germano-phile." (1) Friedrich Kießling hat unlängst festgestellt, das gute Beziehungen Englands zum Deutschen Reich ein eigenständiges Ziel britscher Außenpolitik geworden war. (2) Grey wollte innerhalb der Tripleentente keine antideutsche Front schaffen oder den Deutschen vor dem Kof stoßen.(3)
Grey war kein nationalistischer Hetzer, sondern britischer Außenminister. Seine Aufgabe war es, die britische Außenpolitik gemäß den Interessen des Empire mal in diese, mal in jene Richtung zu lenken. Die grobe Richtung seiner Politik wird nun mal von Autoren anders beurteilt, als Du das hier tust. Als ausgesprochen antideutsch eingestellt werden beispielsweise die Unterstaatssekretäre Crowe, Nicolson und Hardinge beurteilt. Und auch der als deutschfreundlich eingeschätzte Tyrell wird mit folgenden Worten zitiert (Neitzel S. 141, indirekte Rede), dass nach dem Erstarken des Zarenreiches ein ausreichend großes Gegengewicht zum Deutschen Reich vorhanden sei, so dass England nun wieder selbstbewusster und selbstständiger auftreten könne. Tyrell wird wohl gemeint haben, GB müsse seine Politik nun weniger an R orientieren. Man kann seine Worte aber auch ganz anders auffassen. Nämlich, dass GB jetzt erst recht in der Lage ist (Frühjahr 1914), sein Gewicht in die Waagschale zu werfen, zu der es gerade lustig zugeneigt ist.
Mich würde interessieren wie du zu der Einschätzung kommst, dass die gegnerischen Bündnisse Dreibund und Zweiverband in einem stabilen Gleichgewicht waren?
Liegt an meiner Literaturgläubigkeit. Wir können gern, soweit wir die Zeit aufwenden wollen, zum Erbsenzählen übergehen. Ich kann mir nur vorstellen, dass wir bei der Beurteilung des Kampfwertes bestimmter Einheiten bald wieder zu unterschiedlichen Ergebnissen und somit zu keiner Einigung kommen.
Angeblich war das das Ziel. Sollten Leute von der Intelligenz eines Tirpitz oder der diplomatischen Erfahrung eines Bülow wirklich an diesen Schmarrn geglaubt haben? Spätestens die Reaktion GBs, hätte sie eines besseren belehren müssen.
Ja, schon komisch.
Sind aus meiner Sicht alle bis auf eine Aussage absolut korrekt. Von betrügerisch kann keine Rede sein.
Warum macht Silesia dann diesen Thread auf? Wo ist das Problem? Es sieht doch so aus, dass das Reich vom R-J-Krieg profitieren wollte und sich dabei (und anderweitig) ordentlich ins Knie geschossen hat.
Und was der Kaiser gleichzeitig nach Russland depechiert hat, wussten die Japaner ja nicht.
Na ja, Wände haben Ohren...
Deutschland hat bis 1905 antijapanische Politik gemacht, aber das heißt nicht, dass ein 1905 vollzogener Wechsel zu projapanischer Politik nicht bis 1915 Früchte getragen hätte.
Denk doch mal japanisch. Was hätte Deutschland Japan bieten können, was ihm die Seemächte nicht geboten haben?
GB hat auch 1905 antirussische Politik betrieben und einen Wechsel bis 1914 vollzogen.
Der Witz dabei ist aber der Wechsel der russischen Politik.
Kaum. Frankreich hätte natürlich Deutschland den Krieg erklärt, aber nicht Japan, um eben dieses zu verhindern.
Noch ein Grund mehr für Deutschland, sich rauszuhalten.
Aus Sicht des Nachgeborenen hätte ich Elsaß-Lothringen zurückgegeben und mich mit Frankreich verbündet.
Ich hätte Mischtkrätzerle und Edelzwicker NIE freiwillig rausgegeben!
Na schön, vielleicht für die Komoren. Komm jetzt nicht mit einer Karibikinsel, die hätten wir für Elsass-Lothringen NIE gekriegt!
Du musst doch die Politik von anno dazumal, nach der Intention von damals beurteilen und nicht nach heutigen Kriterien. Die wirtschaftliche Situation der Slawen zu verbessern war nun gewisslich nicht die Absicht der Reichsleitung. Man wollte die (minderwertige Rasse der) Slawen unterbuttern, nicht ihre wirtschaftliche Entwicklung voranbringen. Im Gegenteil, die sollten schön rückständig bleiben.
Wie rassistisch Deutschland damals war (oder die Welt überhaupt), würde ich gern anderweitig beurteilen. Das Gute am Feudalismus ist jedenfalls, und Monarchien hatten wir damals ja noch, dass es dem Fürsten weitgehend egal ist, was seine Untertanen für eine Sprache sprechen, Hauptsache, er hat genug davon. Unter diesen Prämissen, und unter der einer durch die fortschreitende Industrialisierung befeuerten Machtentwicklung, hätte ohne den Ersten Weltkrieg die geistig-wirtschaftliche Entwicklung Ost- und Südosteuropas jedenfalls ganz anders verlaufen können. Auch im Lichte der Balkankriege 1992-1995/1999 betrachtet, die wirtschaftliche Stagnation seit dem Ende der ideologischen Herrschaft des Kommunismus in diesem Gebiet mit eingerechnet, sollten sich die betroffenen Völker doch langsam mal fragen, ob ihr überkommener Nationalismus nicht ein Hauptgrund für ihre andauernde Misere ist.
Die Mutmaßung ist unzutreffend.
"The North Sea will be the decisive theatre of naval operations, and it is absolutely essential, that Great Britain should have complete freedom to concentrate such forces in that area as are necessary to defeat the enemy."
Halpern, Paul G.: The Mediterranean Naval Situation 1908-1914, Minute der Admirality: "Joint Action in the Mediterrenean", S. 107, 116.
Die Kräfteverhältnisse zur Hochseeflotte wurden monatlich geschätzt - 1911/13 war die für erforderlich gehaltene numerische Überlegenheit (die, siehe Jellicoe-Papers, auch auf die unterschiedlichen Kampf-Qualitäten der Schiffe gestützt wurde) kritisch und sank in einzelnen Monaten auf +15% statt der geforderten 50% (3:2) ab. Aus den Gründen wurde abgezogen bzw. auch der Verlegung für Herbstmanöver etc. widersprochen. Abzüge und kurzzeitige Zuteilungen für das Mittelmeer waren jeweils vom Kräftebild der deutschen Bedrohung geprägt.
Hihi. Ich behaupte mal, selbst eine angenommene Unterlegenheit von 50% der britischen gegenüber der deutschen Flotte hätte ausgreicht, um die deutsche Flotte davon abzuhalten, über die Nordsee zu dampfen und Truppen in Yorkshire oder wo zu landen, das Risiko wäre einfach zu groß gewesen. Aber darum geht es ja gerade nicht, sondern um "to defeat the enemy", also ein offensives Vorhaben. Im Klartext: Es geht bei diesen Überlegungen darum, der deutschen Flotte eine Niederlage beizubringen, nicht darum, britisches Staatsgebiet zu verteidigen.
Dies ist umso beachtlicher, als die Franzosen numerisch zunehmend in Schwierigkeiten gegen ÖU/Italien gerieten und stetig drängender wieder ein verstärktes britisches Engagement anforderten.
Was wieder meine Überlegungen stützt, dass man britischerseits die Konzentration von Kräften in der Nordsee vornehmen konnte - oder eben auch nicht, je nachdem, wie sich die Situation im Mittelmeer gestaltete oder welches Gewicht man auf die Nordsee legen wollte. Die Flottenrüstung im Mittelmeer wäre dabei eine eigene Überlegung wert, ebenso wie der sich schon länger abzeichnende Abfall Italiens vom Dreibund.
Silesia, ich hatte Dir PMs geschickt. Hast Du die gelesen?
Grüße, Holger