Ich frage mich, ob die ganze Frage hier nicht zu logisch und sachlich angegangen wird.
Vorbemerkung 1: Grundsätzlich meine ich, dass man auch in dieser Diskussion nicht logisch und sachlich genug sein kann.:winke:
Im Übrigen sehe ich das Problem aber ganz ähnlich, wie ich mit der Bemerkung
Meiner Meinung nach liegt des Pudels Kern in einer zutiefst irrationalen Betrachtungsweise.
deutlich zu machen hoffte.
Zu Vorbemerkung 2 nehme ich Bezug auf
... jeder findet halt andere Worte ...
was sowohl hier wie für Leute vor einem Jahrhundert gilt. Die "politische Kommunikation" pro Flotte war damals überaus erfolgreich, wenn auch äußerst umstritten - wir haben's insoweit leichter, weil wir die Ergebnisse kennen.
Vorbemerkung 3:
Zu diesem Themenkomplex empfehle ich die Lektüre des Buches von Wilhelm Deist, "Flottenpolitik und Flottenpropaganda".
Ein von Deist auch gewürdigter Vorläufer ist Eckart Kehr: Soziale und finanzielle Grundlagen der Tirpitzschen Flottenpropaganda von 1928 (neu abgedruckt in: Der Primat der Innenpolitik, 2. Aufl. 1970, S. 130-148 - auch die anderen darin enthaltenen Arbeiten sind äußerst lesenswert); siehe zuletzt auch Rüdiger Bergien: Flotte und Medien im Kaiserreich, in: Deutsche Marinen im Wandel (2005), S. 143-160.
Bei dem folgenden "Rundumschlag" lasse ich die technisch-schiffsbaulichen Aspekte ganz außer Acht. Ich beginne mit
Erst die Dienstschrift IX von Tirpitz Mitte der 90iger Jahre ... drängte die Marine in den militärischen Fordergrund. Poltisch wie auch finanziell. Beeinflußt wurde Tirpitz dabei immer wieder von den Theorien zur Seemacht des Mahan.
Bin ganz derselben Meinung! Ich habe nochmal nachgelesen bei Holger H. Herwig: Der Einfluß von Alfred Th. Mahan auf die deutsche Seemacht (in: Deutsche Marinen, aaO, S. 127-142), der von "einer beinahe unterwürfige(n) Verehrung Mahans" durch Tirpitz & Co. schreibt (S. 130).
Herweg erhebt den Vorwurf, letztere hätten aus Mahans Thesen ein Dogma gemacht, indem sie "Seemacht ... als etwas Absolutes oder nicht als etwas Vorübergehendes oder den Verhältnissen Angemessenes" betrachteten. Auch strategisch gesehen: "Für Tirpitz wie für so viele andere seiner Generation gab es im Leben nur das vereinfachende 'entweder - oder: entweder der 'Entscheidungskampf auf offener See' oder 'Untätigkeit, d. h. moralische Selbstvernichtung'" (S. 132).
Tirpitz entnahm aus Mahans Werk freilich nur das, was er für seine Pläne brauchte, und ließ Essentielles beiseite. Insbesondere überging er "die Mahansche Warnung, daß keine Nation gleichzeitig eine große Landmacht und eine große Seemacht sein könne" (Herwig, S. 137).
Sehr wichtig finde ich in diesem Zusammenhang folgenden Passus beim schon erwähnten Hobson (S. 234), worin er sich auf die Dienstschrift IX bezieht: Sie markierte "die Anfänge einer expansionistischen Ideologie mit undefinierbaren [sic!] politischen Zielen. Die Geschichte der deutschen Schule seestrategischen Denkens und der deutschen Marinepolitik in den nächsten zwei Jahrzehnten war im Grunde genommen die Geschichte vom Zuwachs letzterer auf Kosten ersterer, von der allmählichen Verdrängung der Seestrategie durch die Seemachtideologie".
Noch eindringlicher (ebd.): "In Deutschland, vielleicht noch mehr als in irgendeinem anderen Land, wurde die Begründung, die Mahan, der Expansionspropagandist, anführte, um die Notwendigkeit einer großen Unites States Navy zu rechtfertigen, als eine Beschreibung der weltpolitischen Realitäten genommen. Die Überzeugung, dass nur Seemacht die politische und wirtschaftliche Zukunft des Reiches sichern könne, verdrängte das Abwägen potentieller Bedrohungen und militärischer Fähigkeiten auf der Basis der operativen Doktrin".
Und was die Bündnispolitik betrifft, so durfte man damals schon zweifeln, ob der Versuch, durch Aufrüstung und Furcht jemanden an seine Seite zu bringen, erfolgversprechend war - eher war das Gegenteil der Fall.
Aber auch die USA betrachten das Deutsche Reich fortan als künftigen Kriegsgegner, denn die US Navy befasste sich ebenfalls mit Überlegungen eines Krieges gegen Deutschland.
"Am 24. Mai 1912 warnte Mahan [sic] seine Landsleute in der 'New York Times', die Monroe-Doktrin sei nun der 'Willkür Deutschlands' ausgeliefert", lese ich bei Herweg (S. 129)...
Preußen war ja in mancher Hinsicht damals ein sehr moderner Staat, seine Machteliten hingegen wirken in ihren Äußerungen im Gegensatz dazu extrem rückständig und provinziell.
Ich will keine starken Adjektive gebrauchen - sicher ist jedenfalls, dass sich große Teile der Eliten 'mit dem Rücken an der Wand' wähnten.
Es gibt zahlreiche Belege davon, wie eng der Zusammenhang zwischen Flottenpolitik und allgemeiner Innen- bzw. Parteipolitik seinerzeit gesehen wurde. Der Admiral Freiherr von Senden-Bibran hat das so ausgedrückt: "Jede erfolgreiche imperialistische Zwangspolitik nach außen stärkt normalerweise mindestens zunächst auch 'im Innern' das Prestige und damit die Machtstellung und den Einfluß derjenigen Klassen [sic], Parteien, Stände, unter deren Einfluß der Erfolg errungen ist" (zit. b. Kehr, S. 135), und Tirpitz selbst schrieb 1895 an Stosch, wie sehr doch "in der neuen großen nationalen Aufgabe [Flottenbau] und dem damit verbundenen Wirtschaftsgewinn ein starkes Palliativ gegen gebildete und ungebildete Sozialdemokraten" liege (Tirpitz, Erinnerungen, S. 52; genauer dazu: Eckart Kehr: Schlachtflottenbau und Parteipolitik [1930]).
Was die wirtschaftliche Komponente betrifft, so wäre sie weiterer Diskussion wert. (Ich bitte um Vergebung, wenn ich auf wichtige Vorhaltungen nur unzureichend eingegangen bin - der Beitrag ist eh' schon lang genug.:still