Kalkriese als Ort der Varusschlacht zweifelhaft

Westlich von Kalkriese fächert das Fundspektrum auf. Du kannst also davon ausgehen, dass in Kalkriese etwas passierte, was die Kommandostrukturen der dortig anwesenden römischen Operationseinheit extrem störte. Das Auffächern spricht dafür, dass die Römer sich hier nicht mehr diszipliniert verhielten sondern in einem großen Durcheinander das Heil nicht in einem geordneten Abmarsch, sondern in der Flucht suchten.

Zur Auffächerung der Fundstränge westlich von Kalkriese habe ich noch aus einem etwas älteren Beitrag einen Link mit Übersicht über die Fundorte. Danach sind westlich von Kalkriese zwei Fundstränge deutlich zu erkennen:

Nach dem Engpaß hätten die (Varus-)Römer die Möglichkeit bei der Flucht sich in verschiedene Richtungen zu bewegen. Hier ist übrigens eine gute Übersicht über das Terrain.

(einen Tag später und der Beitrag wäre dann genau ein Jahr alt gewesen...:rofl:)
 
Zuletzt bearbeitet:
bei Tac. Ann. 64 steht in meiner Übersetzung von Wilhelm Bötticher:

"So fand er (Caecina) denn, überlegend, was kommen könnte, keinen anderen Ausweg, als den Feind in den Wäldern zurückzuhalten, bis die Verwundeten und der ganze schwere Zug einen Vorsprung hätten
"

Demnach könnte die Hauptkampflinie um den Kalkrieser Berg den Waldrand darstellen, in dem über Stunden? versucht wurde, die Germanen vom Tross fernzuhalten, der sich im Rücken nach Nordwesten absetzte.

Das Fundspektrum könnte doch auch auf im Kampf abgesplitterte Ausrüstungsgegenstände hin deuten.. aber warum kollabiert ?

Ich denke, daß in Kalkriese römische Einheiten mit Tross vernichtet wurden. Die Fundlage spricht dafür. Das Problem ist einfach, daß auf diesem Schlachtfeld schwere Plünderungen stattgefunden haben. Die Funde insbesondere vom Oberesch stellen somit lediglich Überbleibsel dieser Plünderungen dar. Das meiste ist einfach weg! Kann also auch nicht mehr gefunden werden.

Unterstellt man, daß in Kalkriese eine römische Armee mitsamt Tross vernichtet wurde (und die Fundlage deutet darauf hin), dann kommt eigentlich nur die Varusschlacht infrage. Caecina konnte sich aus dem Hinterhalt befreien. Er hat letztendlich die Schlacht gewonnen. Es gibt keine Hinweise darauf, daß er den Tross, den er dabeihatte aufgegeben hat. Die schweren Plünderungen in Kalkriese sprechen für eine verlorene Schlacht der Römer. Da ist Caecina doch wohl eher fehl am Platze.
 
Du kannst wohl angesichts des Befundes relativ sicher davon ausgehen, dass die Germanen nach der Schlacht Teile der Beute erst einmal sortiert und recycelt (sprich in brauchbare und unbrauchbare Einzelteile zerlegt) haben.

Aber kommen die von den Rosts festgestellten Gewaltspuren an den Wertstoffresten vom Recyclen oder von Kampf.
Die Wertstoffdepots befanden sich zudem auch nur auf der germanischen Seite des Geschehens. Wenn sie nach entschiedener Schlacht angelegt worden sein sollten, hätten sie sich doch über das gesamte Gebiet erstrecken müssen. Und dann wäre da auch noch die Frage warum sich jemand soviel Mühe beim Sammeln und Trennen gemacht hat, und dann aber Alles liegen lässt?


Das Auffächern spricht dafür, dass die Römer sich hier nicht mehr diszipliniert verhielten sondern in einem großen Durcheinander das Heil nicht in einem geordneten Abmarsch, sondern in der Flucht suchten.

Ich habe Zweifel ob sich ein geordneter Rückzug unter Feindeinwirkung (nach erfolgreichem Schutz oder Verlust des Trosses) oder eine panische Flucht besonders im Fundspektrum unterscheidet. Bei beiden ist das Fundaufkommen relativ gering, denke ich. Vielleicht sind die vielen Funde an der "Hauptkampflinie" auch nur so dicht, weil dort über Stunden am selben Ort gekämpft wurde. Ein Unterscheiden in diszipliniert und undiszipliniert daraus abzuleiten, halte ich für gewagt.


Im Nordwesten haben wir zudem noch einmal eine Fundhäufung die sich linear von Ost nach West hinzieht und dann nach Nordost abknickt.
Also hätten die Römer sich dort wieder diszipliniert zusammen gefunden, wenn dies das zeitlich spätere Geschehen sein sollte.
Klingt nicht unbedingt nach einem Kollaps.

Ich halte es deshalb wie Maelonn für möglich das sich westlich von Kalkriese noch weitere Spuren des Geschehens finden könnten.
Für mich ist da noch nichts entschieden.

Gruss
jchatt
 
Aber kommen die von den Rosts festgestellten Gewaltspuren an den Wertstoffresten vom Recyclen oder von Kampf.
Die Wertstoffdepots befanden sich zudem auch nur auf der germanischen Seite des Geschehens. Wenn sie nach entschiedener Schlacht angelegt worden sein sollten, hätten sie sich doch über das gesamte Gebiet erstrecken müssen. Und dann wäre da auch noch die Frage warum sich jemand soviel Mühe beim Sammeln und Trennen gemacht hat, und dann aber Alles liegen lässt?

Ich bin mir nicht sicher ob sich solche Sammelzonen über das gesamte Gelände erstreckt haben. Wenn ich mich an den Vortrag von Rost erinnere so werden die Germanen zuerst die römischen Waffen geplündert haben. Dies geschah wohl auch als eine Art Selbstschutz. Nicht jeder Legionär auf dem Schlachtfeld war tot. Da mußte man auch beim plündern wohl noch mit vereinzelter Gegenwehr rechnen. Dann hat man sich wohl an das Metal, sprich Panzerung gemacht. Rost vermutet, daß die Germanen wahrscheinlich die Trosswagen der Römer zum Abtransport genutzt haben, was mir durchaus logisch erscheint.

Aber was haben die Germanen alles liegengelassen? Was meinst Du damit? Sie haben bis auf wenige Ausnahmen lediglich Kleinteile liegengelassen (Nägel, Scharniere etc.). Große Teile sind die absolute Ausnahme. Natürlich haben die sich nicht nach jedem kleinen Teil umgesehen. Es herrschte in dem Moment wohl auch eine Art "Überangebot".
 
Zuletzt bearbeitet:
Westlich von Kalkriese fächert das Fundspektrum auf. Du kannst also davon ausgehen, dass in Kalkriese etwas passierte, was die Kommandostrukturen der dortig anwesenden römischen Operationseinheit extrem störte. Das Auffächern spricht dafür, dass die Römer sich hier nicht mehr diszipliniert verhielten sondern in einem großen Durcheinander das Heil nicht in einem geordneten Abmarsch, sondern in der Flucht suchten.

Das kann man auch anders interpretieren. Wie ich schonmal hier oder in einer ähnlichen Diskussion geschrieben habe, waren die Kämpfe vor dem Wall derart verlustreich und für die Römer unkontrollierbar, weil es da so eng war, dass sie sich nicht ordentlich aufstellen konnten. Sie hatten nicht mal genug Platz, um kämpfende Truppe und Toss auseinanderzuhalten. Deshalb wurden sie an der Stelle so heftig gebeutelt. Dass sie sich nach Verlassen des Engpasses aufgefächert haben, ist nicht überraschend, sondern folgerichtig. Erst da hatten sie Platz, sich zu sortieren und für das Gefecht zu formieren. Zudem deutet die Verteilung der Funde westlich der Engstelle darauf hin, dass die Truppen zwei Marschsäulen gebildet haben, zwischen denen ein geschützter Bereich für den Tross entstand. Auch die Funde deuten das an. Was dort ausgegraben wurde, ist vermutlich nicht in der Hitze des Gefechts verlorengegangen, sondern wurde "planmäßig" weggeworfen.

Aber kommen die von den Rosts festgestellten Gewaltspuren an den Wertstoffresten vom Recyclen oder von Kampf.
Bei den meisten Funden handelt es sich um Kleinteile, die offenbar bei gewaltsamem Plündern abgerissen und dann übersehen wurden.

Die Wertstoffdepots befanden sich zudem auch nur auf der germanischen Seite des Geschehens.
:confused: Die fein verteilten Kleinfunde befanden sich sämtlich nördlich des Walls. Meiner Ansicht nach war das die "römische" Seite. Wertstoffdepots lagen am Wall selbst, was auch Sinn macht, denn man sammelt wertvolles Material nicht mitten auf dem Schlachtfeld.

Und dann wäre da auch noch die Frage warum sich jemand soviel Mühe beim Sammeln und Trennen gemacht hat, und dann aber Alles liegen lässt?
Alles liegengelassen? Es sind nur ein paar übersehen Reste zurückgeblieben, aus denen man schließen kann, dass dort wertvolles Material gesammelt, getrennt und für den Abtransport vorbereitet wurde.

MfG
 
Das kann man auch anders interpretieren. Wie ich schonmal hier oder in einer ähnlichen Diskussion geschrieben habe, waren die Kämpfe vor dem Wall derart verlustreich und für die Römer unkontrollierbar, weil es da so eng war, dass sie sich nicht ordentlich aufstellen konnten. Sie hatten nicht mal genug Platz, um kämpfende Truppe und Toss auseinanderzuhalten. Deshalb wurden sie an der Stelle so heftig gebeutelt. Dass sie sich nach Verlassen des Engpasses aufgefächert haben, ist nicht überraschend, sondern folgerichtig. Erst da hatten sie Platz, sich zu sortieren und für das Gefecht zu formieren. Zudem deutet die Verteilung der Funde westlich der Engstelle darauf hin, dass die Truppen zwei Marschsäulen gebildet haben, zwischen denen ein geschützter Bereich für den Tross entstand. Auch die Funde deuten das an. Was dort ausgegraben wurde, ist vermutlich nicht in der Hitze des Gefechts verlorengegangen, sondern wurde "planmäßig" weggeworfen.

Eine Verständnisfrage von mir dazu. Wenn die Römer am Wall stark bedrängt worden sind, wie soll der Tross durch die Enge gekommen sein? Und ein aufweiten der Formation stelle ich mir im Gefecht eigentlich sehr gefährlich vor allem, wenn zwischen den eigenen Kampftruppen plötzlich der Tross steht.

Apvar
 
Eine Verständnisfrage von mir dazu. Wenn die Römer am Wall stark bedrängt worden sind, wie soll der Tross durch die Enge gekommen sein?
Offenkundig haben die Germanen gar nicht versucht, den Durchmarsch zu verhindern. Sie haben den Wall parallel zur Marschrichtung der Legionen gebaut, nicht quer dazu. Also wollten sie den Durchgang nicht sperren, sondern nur enger machen. Eine Sperrung hätte den Römern keine andere Wahl gelassen, als das Hindernis zu beseitigen. Die Verengung hat ihnen die Option gelassen, trotz der Angriffe durchzukommen. Sie hat ihnen aber nicht die Möglichkeit gelassen, im Bereich des Walls Aufstellung für ein Gefecht zu nehmen und gleichzeitig genügend freien Raum zu lassen, dass der Tross durchziehen konnte. Kurz gesagt: Tross und kämpfende Einheiten mussten gleichzeitig und durchmischt da durch - unter Inkaufnahme massiver Verluste.

Den "Inhabern" des Walls war von vornherein klar, dass sie dort keinen endgültigen Sieg erringen konnten. Hätten sie an die Chance geglaubt, dass sie dort eine Entscheidung herbeiführen können, hätten sie den Durchgang sperren müssen. Das haben sie nicht getan. Also wussten sie, dass sowohl die römischen Kampftruppen als auch der Tross dort durchkommen würden. Allerdings nicht ungeschoren. Nach allem, was wir aus den heute noch sichtbaren Spuren ablesen können, war das Gefechtsfeld bei Kalkriese so gestaltet, dass es für die römische Seite möglichst ungünstig war und zu möglichst großen Verlusten führte - insbesondere beim Tross, der naturgemäß schutzlos und unbeweglich ist.


Und ein aufweiten der Formation stelle ich mir im Gefecht eigentlich sehr gefährlich vor allem, wenn zwischen den eigenen Kampftruppen plötzlich der Tross steht.
Genau das ist die Situation, der sich die Römer vor dem Wall gegenüber gesehen haben. Die Legionäre wurden angegriffen und währenddessen trampelten ihnen die Tross-Mulis über die Füße. Keine Chance, das Durcheinander irgendwie zu ordnen.

Die römischen Legionen waren zu ihrer Zeit "unbesiegbar". Ausschlaggebend dafür war - neben der einheitlichen und überlegenen Ausrüstung - ihr taktisches Konzept des Formationskampfs. Wenn die Legionen die Chance hatten, ihre Formation einzunehmen, dann konnte niemand gegen sie anstinken. Konnten sie das nicht, waren sie anfällig. Das ist vor dem Wall bei Kalkriese passiert.

Bei ihren Kriegen in Germanien mussten die Römer feststellen, dass sie oft in Situationen gerieten, wo sie nicht ihre unbesiegbare Schlachtreihe entfalten konnten. Und sie mussten feststellen, dass der Tross ihr wunder Punkt war. Sie mussten den Tross mitführen, aber sie konnten ihn nicht schützen.

Nun zur Frage nach dem Auffächern: Ausschlaggebend für die Niederlage im Engpass war der Umstand, dass es dort einfach zu eng war, um irgendeine Formation herzustellen. Es ist deshalb absolut logisch, dass die Truppen in dem Moment, da sie aus dem Engpass heraus waren, sich auf eine größere Fläche verteilt haben. Sie brauchten Platz. In dem Moment, da sie den Platz hatten, mussten sie ihn auch nutzen. Zweitens mussten sie Tross und kämpfende Einheiten trennen. Bei der katastrophalen Situation, dass Kampftruppen und Versorger sich gegenseitig behindert haben, durfte es nicht bleiben. Deshalb haben die Truppen nach der Durchqeurung des Engpasses sofort Formation eingenommen, zwei Säulen gebildet und damit zwischen diesen beiden Säulen eine feindfreien Bereich geschaffen, in den der panisch fliehende Tross einziehen konnte. Nur so waren Kampftruppen und Tross zu entflechten.

In dem Moment stand der Tross zwar zwischen eigenen Truppen. Aber genau da gehört er auch hin. "Gefährlich" ist der Tross nur, wenn er zwischen eigenen und feindlichen Truppen steht.

Nach dem Engpass MUSSTEN die Römer Raum gewinnen. Sie MUSSTEN ihre Marschsäule auflösen und eine größere Fläche beherrschen.

MfG
 
Aber was haben die Germanen alles liegengelassen? Was meinst Du damit?.

:confused: Die fein verteilten Kleinfunde befanden sich sämtlich nördlich des Walls. Meiner Ansicht nach war das die "römische" Seite. Wertstoffdepots lagen am Wall selbst, was auch Sinn macht, denn man sammelt wertvolles Material nicht mitten auf dem Schlachtfeld.


ich war davon ausgegangen das die Depots komplett erhalten waren und hinter dem Wall lagen. Ich meine das in einem Vortrag von Herrn Moosbauer 2009 gehört zu haben. Gedächtnisprotokolle dieser Art kommen bei mir in der Quellenkritik aber erfahrungsgemäss schlecht weg :pfeif:
Also wenn diese Annahme falsch sein sollte, ziehe ich den Einwand zurück.

Was mich nur immer stört ist die permanente Betonung, dass die Funde beim Plündern vom Legionär gerissen worden sein sollen.
Wie sieht man denn einem Ausrüstungsteil an, ob es gewaltsam von Hand beim Plündern abgerissen oder im Kampf abgeschlagen wurde ?
Wenn man das kann, dann darf man auch einen geordneten Rückzug von einem Kollabieren unterscheiden. Ansonsten sieht das so aus, als ob man beim Interpretieren das Varusschlachtfeld vor Augen hatte.
Das geplündert wurde steht ausser Frage. Aber vorher wurde gekämpft.
Und wenn man sich beim Kämpfen auch noch vor oder zurückbewegt streuen auch die Funde.
Also ich bleibe dabei. Ein Kollabieren ist nur ein Erklärungsansatz unter vielen.


Gruss
jchatt
 
Was mich nur immer stört ist die permanente Betonung, dass die Funde beim Plündern vom Legionär gerissen worden sein sollen.
Wie sieht man denn einem Ausrüstungsteil an, ob es gewaltsam von Hand beim Plündern abgerissen oder im Kampf abgeschlagen wurde ?

Sehr gut wird dies in Kalkriese deutlich anhand des Schienenpanzers, den wohl der größte Teil der Legionäre getragen haben dürfte. Funde solcher einzelnen Schienen sind sehr selten. Was man allerdings gefunden hat, sind die kleinen Scharniere dieser Schienenpanzerung. Dies deutet auf ein wegreissen der Metallschienen hin. Dabei sind diese Scharniere abgesprungen. Es handelt sich dabei also um Kleinteile, welche heute z.T. noch zu finden sind. Sie waren offensichtlich eher wertlos für die Plünderer.

Auch interessant:
In der Nähe des Schlachtfeldes in einer ehemals germanischen Siedlung hat man (so glaube ich - Stichwort Gedächtnisprotokoll) eine solche Schiene gefunden. Sie war zu einem Haken abgeändert worden.

Und noch etwas:
Wenn ich mich recht entsinne, verfallen Leichen, die kurz vor ihrem Tod anstrengenden Aktivitäten ausgesetzt waren schon wenige Stunden später in Leichen- bzw. Totenstarre. Das ausplündern bzw. das entfernen z.B. des Schienenpanzers wird dadurch umso schwieriger. Daher werden wohl die plündernden Germanen mit aller Gewalt an den Kettenhemden und Schienenpanzern gerissen haben.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo,
folgende Frage zu den interessanten Ausführungen:da der Troß ja anscheinend bei
dem Kampf vorhanden war,und nach den Berichten zur Varusschlacht erst später
verbrannt wurde,könnte es sein,daß Kalkriese der Beginn der Kämpfe darstellt?
Dann müßte man südlich,bzw. südwestlich weiter suchen.Die Richtung wäre meines
Erachtens entweder zum Rhein oder zu einem der westlichen Lippelager.
 
Von der Verbrennung eines Teils* des Trosses berichtet nur einer der Historiker, die über die Varusschlacht berichten, und das ist ausgerechnet Cassius Dio, dessen Schlachtdarstellung zwar einerseits am ausführlichsten, andererseits aber auch mit dem größten zeitlichen Abstand geschrieben wurde, nämlich etwa 200 Jahre später. Desweiteren beinhaltet Cassius' Darstellung einige Fragwürdigkeiten, die ich im Thread schon häufiger ausgebreitet habe (die typische Reaktion ist: "aber seit der Entdeckung von Waldgirmes...." - gemeint ist die vielfach als unsinnig gesehene Behauptung der in Germanien angelegten poléis, worum es mir gar nicht geht**, mir geht es ganz alleine um Fragwürdigkeiten in seiner Schlachtbeschreibung), etwa bezüglich der unterschiedlichen Wirkung des angeblichen Unwetters während der Schlacht auf die Römer und auf die Germanen.
Insgesamt gesehen ist Cassius Dio also sowieso schon fragwürdig und dann wird auch noch eine Stelle regelmäßig falsch wiedergegeben und darauf Gedankengerüste aufgebaut. Das ist schlicht unsauber.



*Das wird irgendwie immer unterschlagen.
**andererseits macht eine Schwalbe noch keinen Sommer.
 
...die typische Reaktion ist: "aber seit der Entdeckung von Waldgirmes...."

:pfeif:

Okay, ich komme Dir jetzt nicht wieder mit Waldgirmes. Der Worte sind genug gewechselt...

Trotzdem bin ich der Meinung, dass Dio so unglaubwürdig nicht ist. Genau betrachtet, ist Dio der einzige Autor, der die Varus-Niederlage nicht allein als göttliche Fügung oder Folge von Verrat darstellt. Nur Dio kann man so lesen, dass er sachliche Gründe (auch taktischer Art, zu großer Tross und unmilitärische Marschordnung nämlich) für die Niederlage anführt. Damit bricht er mit einem Topos, der bei den römischen Geschichtsschreibern sehr verbreitet war.

Die Sache mit den wasserdichten Germanen ist natürlich eine andere gern bemühte Geschichte, die nicht wirklich glaubwürdig ist. Da widerspreche ich Dir gar nicht.

Aber unabhängig davon, wie glaubwürdig man Cassius Dio einschätzt, gilt doch folgendes: Wenn die Schlacht wirklich drei Tage lang gedauert hat und mit der völlig Vernichtung der römischen Legionen endete, dann kann man von nichts anderem ausgehen als davon, dass der Tross schon am ersten Tag schwer in Mitleidenschaft gezogen wurde und am zweiten Tag kaum noch existent war. Der Tross war der verwundbarste Teil des Heeres. Den muss es einfach am härtesten getroffen haben. Die Römer waren nicht in der Lage, ihre kämpfende Truppe vor der Vernichtung zu bewahren. Mit dem Tross ist es ihnen ganz gewiss nicht gelungen.

Deshalb halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass Dios Schilderung zumindest in diesem Punkt zutreffend ist.

MfG
 
Von der Verbrennung eines Teils* des Trosses berichtet nur einer der Historiker, die über die Varusschlacht berichten, und das ist ausgerechnet Cassius Dio, dessen Schlachtdarstellung zwar einerseits am ausführlichsten, andererseits aber auch mit dem größten zeitlichen Abstand geschrieben wurde, nämlich etwa 200 Jahre später.

Es ist ja sogar noch schlimmer. Kein einziges Detail der drei Tage-Schlacht bei Dio wird von einem anderen Historiker bestätigt.
Die Gemeinsamkeiten beschränken sich auf "ein Lager in Germanien".
Aber dazu hätte es keiner Überlieferung bedurft. Das Legionen ein solches hin und wieder bauen, ist eines der wenigen unumstrittenen Punkte in dem Schlamassel.
Und bei Weglassung des Dio gibt es Spielraum für 700 weitere schöne neue Varustheorien...

Darauf mal eine Frage. Für die Niederlage bei Carrhae ist Dio neben Appian,Plutarch und Velleius auch eine Quelle. Ist er dort nicht auch derjenige mit dem grössten Detailwissen ?

Gruss
jchatt
 
Von der Verbrennung eines Teils* des Trosses berichtet nur einer der Historiker, die über die Varusschlacht berichten, und das ist ausgerechnet Cassius Dio, dessen Schlachtdarstellung zwar einerseits am ausführlichsten, andererseits aber auch mit dem größten zeitlichen Abstand geschrieben wurde, nämlich etwa 200 Jahre später.
Insgesamt gesehen ist Cassius Dio also sowieso schon fragwürdig und dann wird auch noch eine Stelle regelmäßig falsch wiedergegeben und darauf Gedankengerüste aufgebaut. Das ist schlicht unsauber.

So ganz kann ich das immer noch nicht verstehen. Natürlich gilt für Dio auch das, was für die anderen Geschichtsschreiber ebenso gilt. Natürlich ist auch sein Werk nicht frei von Prosa, Übertreibungen u.ä. Das gilt aber auch für Tacitus & Co.
Tatsache ist doch:
Dio schildert das Geschehen am ausführlichsten. Das er dabei über Dinge berichtet, welche wir bei anderen Autoren nicht finden ist daher also nur logisch.
Ist der zeitliche Abstand wirklich so entscheidend? Sind nicht vielmehr die von Dio verwendeten Quellen das wirklich entscheidende? Unabhängig davon wann der (Dio's) Text geschrieben wurde?
Übertreibungen sind in den historischen Texten zu diesem Thema völlig normal. Daher sollte man natürlich nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. Aber wenn das Wetter wirklich so schlimm war, wie Dio es schildert, dann ist es doch durchaus nachvollziehbar, daß die eher leichter gerüsteten Germanen zumindest besser damit zurechtkamen als die schwer gepanzerten römischen Legionäre!

Natürlich wird auch Waldgirmes hier immer wieder genannt. Ich möchte darauf aber nicht erneut eingehen.
Allerdings kann man erwähnen, daß offensichtlich die Errichtung des großen Lagers in Oberaden ebenfalls bei Dio nachzulesen ist.


" Über den konkretenAblauf der Katastrophe liegt ein deteilreicher Bericht des Cassius Dio vor, der allgemein als in den Grundzügen zuverlässig gilt."
Reinhard Wolters (Die Römer in Germanien)

Die zwar deutlich jüngere, aus heutiger Sicht dennoch als verlässlichste Quelle geltende Beschreibung stammt von dem Senator und späteren Autor Cassius Dio."
Heidrun Derks (2000 Jahre Varusschlacht: Band Konflikt)
 
So ganz kann ich das immer noch nicht verstehen. Natürlich gilt für Dio auch das, was für die anderen Geschichtsschreiber ebenso gilt. Natürlich ist auch sein Werk nicht frei von Prosa, Übertreibungen u.ä. Das gilt aber auch für Tacitus & Co.
Tatsache ist doch:
Dio schildert das Geschehen am ausführlichsten. Das er dabei über Dinge berichtet, welche wir bei anderen Autoren nicht finden ist daher also nur logisch.
Ist der zeitliche Abstand wirklich so entscheidend? Sind nicht vielmehr die von Dio verwendeten Quellen das wirklich entscheidende? Unabhängig davon wann der (Dio's) Text geschrieben wurde?

Ich habe meine Probleme mit Cassius Dio schon oft genug dargelegt: Er ist der einzige, der Autoren, der vom Wetter schreibt. Schlechtes Wetter war aber für Germanien topisch. Mein Hauptproblem ist aber, dass bei ihm die Römer blind von Baum zu Baum torkeln, weil sie aufgrund des Wetters nichts sehen, während die Germanen gegen sie sogar Fernwaffen einsetzen können.

Ich habe dagegen kein Problem mit seiner Schilderung einer viertägigen Schlacht oder mit der Weser als Ausgangspunkt des Varuszuges. Das würde auch zu "haud procul [...] amnes inter" passen, stünde somit absolut nicht im Widerspruch zu anderen Quellen.
"Über den konkretenAblauf der Katastrophe liegt ein deteilreicher Bericht des Cassius Dio vor, der allgemein als in den Grundzügen zuverlässig gilt."
Reinhard Wolters (Die Römer in Germanien)

Die zwar deutlich jüngere, aus heutiger Sicht dennoch als verlässlichste Quelle geltende Beschreibung stammt von dem Senator und späteren Autor Cassius Dio."
Heidrun Derks (2000 Jahre Varusschlacht: Band Konflikt)

Zwischen diesen beiden Zitaten liegen Welten. Ich würde in diesem Falle Wolters Recht geben. "In Grundzügen zuverlässig" und dennoch fragwürdig (Stichwort "wasserfeste Supergermanen gegen normalsterbliche Zuckerrömer").
"In Grundzügen zuverlässig" heißt im Prinzip: Um die Fakten wurde eine ganze Menge hinzugedichtet. Die Varusniederlage ist ein historisches Ereignis, aber ob es wirklich geregnet hat, wissen wir nicht, und dass die Götter nicht eingegriffen haben, dürfen wir als sicher annehmen.

Dagegen ist die Formulierung "als verlässlichste Quelle geltende Beschreibung" gewissermaßen grenzwertig. Warum ist sie die verlässlichste Quelle? Aufgrund welcher allgemein gültiger Kriterien kann die Behauptung getroffen werden, dass Cassius Dio die "verlässlichste" Schlachtbeschriebung liefert? Derks kann zur Begründung nur Spekulationen vorweisen:
"Bei der Abfassung seines ausführlichen und detailreichen Berichtes konnte sich Dio offenbar auf ältere, später verloren gegangene Beschreibungen stützen."
Bei Tacitus wissen wir das, der nennt Plinius und Aufidius Bassus als seine Quellen und es ist schlicht bedauerlich, dass die beiden Werke nicht erhalten sind, bei Cassius haben wir - soweit ich das überblicke - keine ähnlichen Q-Angaben.
Die ausführlichste Quelle: ja! Aber Ausführlichkeit ist eben nur bedingt ein qualitatives und zunächst einmal ein quantitaves Merkmal. Um zu beurteilen, ob es sich um die verlässlichste Quelle handelt, müsste mal wohl an jenen September(?)tag im Jahre 9 dabei gewesen sein.
Aber eine Grundregel der Q-Kunde ist eben: Je älter und je näher am historischen Ereignis eine Quelle dran ist, desto wahrscheinlicher ist ihre Zuverlässigkeit.
 
(C)VRAM (A)GENTE

Hallo! Habe auf der Seite Römerforschung-Mitteldeutschland eine Arbeit von Michael Barkowski gefunden in der er anhand des Gegenstempels CA auf Assen des Augustus versucht die Schlacht bei Kalkriese zu datieren oder als Varusschlacht zu widerlegen.
Die Römer in Mitteldeutschland

Hier noch ein Link zur Arbeit "Gegenstempel auf Aesprägungen der frühen römischen Kaiserzeit im Rheingebiet : Grundlagen, Systematik, Typologie" von Ulrich Werz aus der M. Barkowski u.a. zitiert.
Hochschulschriftenserver - Gegenstempel auf Aesprägungen der frühen römischen Kaiserzeit im Rheingebiet : Grundlagen, Systematik, Typologie


Mit freundlichen Grüßen, Lucio Cinico!
 
Hallo Leute,

ein wesentliches Indiz, dass in Kalkriese die Varusschlacht stattgefunden habe gründet sich auf den Befund, dass Knochen einzelner Personen offenbar nach mehrjähriger Verwesung an der Oberfläche bis zur vollkommenden Skelettierung in Gruben unter die Erde gebracht wurden. Darin sehen manche Wissenschaftler eine Übereinstimmung mit Tacitus I, 62.

Allerdings halte ich diese Interpretation für angreifbar. Uns liegen zu wenige Informationen zum Umgang mit Toten bei den Germanen vor, sowohl in Bezug auf Feinde als auch auf eigene Krieger, um hier vorauseilend eine verbindliche Aussage zu treffen.
Der Umgang mit den Toten in der Eisenzeit muss nicht zwingend den rationalen Vorstellungen entsprechen, die unser heutiges Handeln bestimmen.

Vor einigen Tagen bin ich auf einen Beitrag zu den Kelten von Dorothee Ade und Andreas Willmy gestoßen, der in dieser Hinsicht interessant sein könnte:

"Während des 2. und 1. Jahrhunderts vor Christus erfassen wir einen völlig anderen Umgang mit den Toten, der sich uns nur schwer erschließt::
mehrstufige Bestattungsrituale.
Immer wieder gefundene Skelettteile in Siedlungsgruben wurden anfangs mit Resten von Feinden oder Menschenopfern in Verbindung gebracht.
Sorgfältige Untersuchungen legten jedoch nahe, dass hier komplizierte Bestattungsriten unternommen wurden, die uns heute makaber erscheinen.
In Manching fanden sich weit verteilt in Gruben 5000 Menschenknochen, hauptsächlich Langknochen und Schädel mit Zertrümmerungs- und Schnittspuren von ca. 400 Menschen, darunter viele junge Männer.
Offenbar ließ man die Leichen außerhalb der Siedlung verwesen und unterzog sie dann einer besonderen Prozedur.
In Basel-Gasfabrik ergab sich ein ähnliches Bild. In 150 Gruben fanden sich Knochen von mehreren Personen, hauptsächlich Schädel, Ober- und Unterschenkel, sowie Oberarme. Sie waren abgetrennt worden, nachdem der Tote verwest war.
Tierverbiss zeigt an, dass man die Toten, vielleicht zur Schau gestellt, oberirdisch verwesen ließ, und sie dann nachträglich und nicht unbedingt in einem Stück begrub.
Unter den 80 Toten sind doppelt soviel Männer wie Frauen.
Ähnliche Funde aus anderen spätkeltischen Stätten zeigen, dass es sich um vielschichtige Bestattungriten handelte, die wir in ihrer Komplexität nicht mehr erfassen können. Der Totenkult muss eine bedeutende Rolle gespielt haben und entsprechend vielschichtig waren die rituellen Handlungen."
 
Zuletzt bearbeitet:
Zurück
Oben