Eine Verständnisfrage von mir dazu. Wenn die Römer am Wall stark bedrängt worden sind, wie soll der Tross durch die Enge gekommen sein?
Offenkundig haben die Germanen gar nicht versucht, den Durchmarsch zu verhindern. Sie haben den Wall parallel zur Marschrichtung der Legionen gebaut, nicht quer dazu. Also wollten sie den Durchgang nicht sperren, sondern nur enger machen. Eine Sperrung hätte den Römern keine andere Wahl gelassen, als das Hindernis zu beseitigen. Die Verengung hat ihnen die Option gelassen, trotz der Angriffe durchzukommen. Sie hat ihnen aber nicht die Möglichkeit gelassen, im Bereich des Walls Aufstellung für ein Gefecht zu nehmen und gleichzeitig genügend freien Raum zu lassen, dass der Tross durchziehen konnte. Kurz gesagt: Tross und kämpfende Einheiten mussten gleichzeitig und durchmischt da durch - unter Inkaufnahme massiver Verluste.
Den "Inhabern" des Walls war von vornherein klar, dass sie dort keinen endgültigen Sieg erringen konnten. Hätten sie an die Chance geglaubt, dass sie dort eine Entscheidung herbeiführen können, hätten sie den Durchgang sperren müssen. Das haben sie nicht getan. Also wussten sie, dass sowohl die römischen Kampftruppen als auch der Tross dort durchkommen würden. Allerdings nicht ungeschoren. Nach allem, was wir aus den heute noch sichtbaren Spuren ablesen können, war das Gefechtsfeld bei Kalkriese so gestaltet, dass es für die römische Seite möglichst ungünstig war und zu möglichst großen Verlusten führte - insbesondere beim Tross, der naturgemäß schutzlos und unbeweglich ist.
Und ein aufweiten der Formation stelle ich mir im Gefecht eigentlich sehr gefährlich vor allem, wenn zwischen den eigenen Kampftruppen plötzlich der Tross steht.
Genau das ist die Situation, der sich die Römer vor dem Wall gegenüber gesehen haben. Die Legionäre wurden angegriffen und währenddessen trampelten ihnen die Tross-Mulis über die Füße. Keine Chance, das Durcheinander irgendwie zu ordnen.
Die römischen Legionen waren zu ihrer Zeit "unbesiegbar". Ausschlaggebend dafür war - neben der einheitlichen und überlegenen Ausrüstung - ihr taktisches Konzept des Formationskampfs. Wenn die Legionen die Chance hatten, ihre Formation einzunehmen, dann konnte niemand gegen sie anstinken. Konnten sie das nicht, waren sie anfällig. Das ist vor dem Wall bei Kalkriese passiert.
Bei ihren Kriegen in Germanien mussten die Römer feststellen, dass sie oft in Situationen gerieten, wo sie nicht ihre unbesiegbare Schlachtreihe entfalten konnten. Und sie mussten feststellen, dass der Tross ihr wunder Punkt war. Sie mussten den Tross mitführen, aber sie konnten ihn nicht schützen.
Nun zur Frage nach dem Auffächern: Ausschlaggebend für die Niederlage im Engpass war der Umstand, dass es dort einfach zu eng war, um irgendeine Formation herzustellen. Es ist deshalb absolut logisch, dass die Truppen in dem Moment, da sie aus dem Engpass heraus waren, sich auf eine größere Fläche verteilt haben. Sie brauchten Platz. In dem Moment, da sie den Platz hatten, mussten sie ihn auch nutzen. Zweitens mussten sie Tross und kämpfende Einheiten trennen. Bei der katastrophalen Situation, dass Kampftruppen und Versorger sich gegenseitig behindert haben, durfte es nicht bleiben. Deshalb haben die Truppen nach der Durchqeurung des Engpasses sofort Formation eingenommen, zwei Säulen gebildet und damit zwischen diesen beiden Säulen eine feindfreien Bereich geschaffen, in den der panisch fliehende Tross einziehen konnte. Nur so waren Kampftruppen und Tross zu entflechten.
In dem Moment stand der Tross zwar zwischen eigenen Truppen. Aber genau da gehört er auch hin. "Gefährlich" ist der Tross nur, wenn er zwischen eigenen und feindlichen Truppen steht.
Nach dem Engpass MUSSTEN die Römer Raum gewinnen. Sie MUSSTEN ihre Marschsäule auflösen und eine größere Fläche beherrschen.
MfG