Die größte Frage:
Wieso haben die römischen Vorhuten den Wall nicht entdeckt und die Truppe gewarnt; selbst wenn Varus so militärisch unerfahren gewesen wäre wie ihn manche Autoren hinstellen - römische Truppen wären nie ohne marschiert.
1. Wieso soll ein Heer mit drei Legionen ohne Vorhut marschieren?
ein mögliches Szenario wäre folgendes:
die Vorhut könnte aus germanischen Hilfstruppen bestanden haben, die aber in Wirklichkeit mit zu den Aufständischen zählten.
Dieses Szenario ist durchaus durch eine Quelle gedeckt: Leider handelt es sich dabei um Cassius Dio, unsere zwar ausführlichste Quelle zur Schlacht, aber eben auch unsere späteste.
Sei es, dass die germanischen Hilfstruppen eben jene Vorhut bildeten, oder nicht: Es ist völlig unerheblich, ob der Wall erkannt wurde, oder ober ausreichend getarnt war: Die römischen Truppen mussten daran vorbei.
Falls es so gewesen wäre, hätten diese dann "freie Bahn" gemeldet, und die Legionen wären in die Falle marschiert. Das würde allerdings dafür sprechen, daß Kalkriese der Anfangspunkt einer Schlacht gewesen ist. Folgt man den Berichten einer mehrtägigen Schlacht an verschiedenen Orten, so müßte es noch im Umfeld von Kalkriese weitere Schlachtorte geben.
Falls die Vorhut bei Kalkriese überhaupt noch bei den Römern gewesen ist. Ich persönlich halte Kalkriese eher für einen recht späten Zeitpunkt der Schlacht. Westlich von Kalkriese fächern sich die Funde auf.
2. Das der Kalkrieser Wall provisorischer Art war ist ja unbestritten...aber wer sagt denn dass der Angrivarier Wall tatsächlich eine Grenzbefestigung sein muss? Die müsste dann ja über mehrere Dutzende Kilometer lang gewesen sein...und massiv....und dann keine Überreste wie vom Limes oder Hadrianswall? und es wäre die einzige Grenzbefestigung zwischen zwei germanischen Stämmen oder kennt jemand aus irgendeiner Quelle noch eine zweite feste baulich Grenze in irgendeiner Form zwischen zwei germanischen Stämmen des 1. Jhr. n.Chr.?
Die Kollegen, insbesondere Maelonn und Carolus, haben schon eine ganze Menge zum Angrivarierwall, seiner möglichen Lokalisierung und zu seiner Topographie im Vgl. auch zum Kalkrieser Wall gesagt; auch, dass die Spuren der Artillerie schlicht fehlen. Die Stelle bei Tacitus über den Angrivarierwall ist wirklich etwas rätselhaft. Letztlich bleibt aber - zumindest nach der taciteischen Überlieferung, und das ist nun mal bzgl. des Angrivarierwall die einzige, die wir haben - nur die Interpretation als Grenzwall:
silvas quoque profunda palus ambibat nisi quod latus unum Angrivarii lato aggere extulerant quo a Cheruscis dirimerentur.
Wälder und darum herum ging auch tiefer Sumpf, außer an einer Seite, an dem die Angrivarier einen breiten Wall/Damm aufgeworfen hatten, damit sie von den Cheruskern getrennt würden.
Wozu aber, muss nun die Frage lauten, wenn man annimmt, dass der Angrivarierwall kein schon länger existentes Grenzbauwerk, sondern ein ad hoc errichtetes Bauwerk gewesen ist, sollte der Wall die gemeinsam kämpfenden Cherusker und Angrivarier trennen? Welche taktische Funktion sollte das haben? Solange dafür keine befriedigende Antwort gefunden ist, ist die Interpretation als Grenzwall, wenn auch aufgrund Tacitus' Wortwahl auf dünnem Eis stehen, die einzige, die überhaupt einen Sinn ergibt. Wälder und darum herum ging auch tiefer Sumpf, außer an einer Seite, an dem die Angrivarier einen breiten Wall/Damm aufgeworfen hatten, damit sie von den Cheruskern getrennt würden.
Aus anderen Zeiten kennt man das aber auch immer wieder dass die Avantgarde zerschlagen wurde und das Gros, das dahinter marschierte, davon nichts mitbekam, außer dass man keinen Kontakt zur Vorhut aufbauen konnte.
Wenn man sich über den evtl. Verlust der Vorhut im Klaren war, hieß das aber auch nicht, dass man deswegen von dem Marschweg abweichen konnte.
Oder die Nachhut, so etwa bei Roncesvalles 778.
Und das wussten auch die römischen Offiziere und werden an jeder Engstelle mit einem Hinterhalt gerechnet haben (--> Schlacht am Harzhorn).
Dass sollen sie ja nach Aussage der Quellen gerade nicht getan haben, wird Varus vorgeworfen. Warum hätten sie auch einen Hinterhalt erwarten sollen. Speziell auf Kalkriese bezogen allerdings muss man damit rechnen, dass die römischen Truppen, als sie dort ankamen, längst Getriebene waren und kaum noch eine Chance hatten, etwa umzudrehen oder einen anderen Weg zu wählen, oder ihr Heil in der Erstürmung des Walles zu suchen. Das macht auch die Genialität dieser Anlage aus, die den Weg nicht versperrt, sondern parallel begleitet: Sie suggeriert die Chance, durchkommen zu können und das Heil in der Flucht zu suchen, statt den Sturm zu wagen.
Ein <P> in einem <LPA> ist kein ausreichender positiver Beweis für die Anwesenheit einer Legio Prima Augusta. Nicht einmal die Lesung <LPA> ist sicher, noch weniger die Interpretation. Es handelt sich um eine Hypothese. Die durchaus legitim ist. Angenommen, das LPA wäre richtig gelesen und es handelte sich tatsächlich um eine Abkürzung für die Erste Augusteische Legion, wäre dies allerdings noch immer kein Beweis gegen die Varusschlachthypothese, da erstens Soldaten der ersten Legion bei der Bestattung der Varuslegionen anwesend waren, zweitens bei der Varusschlacht unbekannte Vexillationen anderer Legionen dabei waren und es drittens passierte, dass Ausrüstungsgegenstände ihren Besitzer wechselten (was punz- und ritzinschriftlich belegt ist).Und wenn die Geschichte mit der in Kalkriese gefundenen Inschrift LPA in der Schwertscheide mit Übersetzung der Legio Prima Augusta stimmt, spricht doch eigentlich deutlich mehr für eine Gleichstellung der Schlacht in Kalkriese mit der Schlacht am Angrivarierwall als mit der Varusschlacht oder?
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