Kalkriese als Ort der Varusschlacht zweifelhaft

Du hast mich nicht verstanden. Die Vertreter der Pontes Longi-Hypothese behaupten, dass der Wall der Beweis gegen die Varusschlacht und für Pontes-Longi sei. Genau das passt aber nicht, weil konträr zur literarischen Überlieferung, wonach das Bauwerk römischer und nicht germanischer Herkunft sein müsste.

Das wäre doch auch ein Beispiel für die Durchmischung des Ablaufs durch die antiken Autoren. Wenn Varus fortdauernd angegriffen wurde, warum sollte nicht ein römischer Wall bei einem der Stopps angelegt worden sein?

Die fortgesetzten Stiche (und Sperren an den möglichen Ausweichwegen nach Süden) hätten demnach die Marschrichtung bestimmt, bis zum vorbereiteten Endpunkt zwischen Wiehengebirge und Sümpfen.

Zu den Sümpfen noch eine Frage: hier gibt es ja wohl eine Differenz in den Schilderungen. Wenn zahlreiche Römer aus dem Engpass Richtung Sümpfe geflohen sind (als einzig offene Seite wäre das logisch), werden sich auch hier Verfolgungen abgespielt haben. Die letzte, aber für den Ausgang nicht mehr entscheidende Episode (passend zum aus den Sümpfen aufstehenden Varus) könnte demnach von den Entkommenen und aus Augenzeugenberichten stammen, was dem Brennpunkt der Schlacht am Wall und ggf. nördlich des westlichen Wallendes nicht widerspricht, sondern eher die subjektive Sicht der Überlebenden widerspiegelt.
 
Die Lösung könnte sein, daß die Legionen nur ungern im Wald kämpften. Das wird mehrmals bei Tacitus angedeutet. Ein Wald am Ende des Walles hätte dann die Befestigungslinie natürlich verlängert.

Der Wald ist eine gute Idee und lässt sich ausbauen. Als einfachste Lösung für das östliche Ende des Walls (gewissermassen die "Bande" zum Ablenken in den Engpass) könnte man sich Gehölzsperren und schwer passierbares Dickicht (im rechten Winkel zum Wallbeginn) im Anstieg auf den Kalkrieser Berg vorstellen. Davon wird man vermutlich nicht mehr viel finden, aber vielleicht oben auf der Kuppe.

Wenn man sich dann das Gefecht vorstellt, wäre der Wall lang genug bis zur westlichen Sperre, um einen wesentlichen (= nicht opferbaren) Teil des Varus-Zuges "auflaufen" zu lassen, so dass die Umkehr erschwert wird. Die Germanen wären dann in drei Gruppen aufgeteilt
- im Rücken ein Teil, der das Ende des Varus-Zuges mit der Nachhut und Trossteilen angreift und vermutlich schon länger verfolgt und leichter angegriffen hat
- auf der Kuppe des Kalkrieser Berges eine Streitmacht, die den Wall bei Annäherung besetzt.
- am westlichen Wallende ein Sperrriegel.

Der Wall unterstützt dann die langgestreckte "schwächste" Stelle des Planes, die gehalten werden muss, bis an der Spitze und am Ende die Lage entschieden ist.

Wenn Varus in diese Falle durch die Sticheleien marschiert ist, wäre ein Teil bereits drin, bevor an Rückzug gedacht werden konnte. Wenn der Teil groß genug ist, dass er nicht seinem Schicksal überlassen werden konnte, wenn man es noch über die Ems schaffen wollte, läuft der Rest als Autopilot ab.
 
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Die Lösung könnte sein, daß die Legionen nur ungern im Wald kämpften.
Das wird mehrmals bei Tacitus angedeutet.

Das ist ganz logisch, denn im Wald konnten sie ihre Vorteile nicht ausspielen.

Wenn man es, wie wir hier, aber totzdem versucht aus den Kalkrieser Funden Bewegungen und Formationen herauszulesen, dann sollte man zumindest alles berücksichtigen was historisch überliefert ist.
Und die Pontes-Longi-Schlacht ist nun mal die einzige? detaillierte taktische Überlieferung wie eine frühkaiserzeitliche römische Armee in Germanien eine Engstelle passierte.
Auch wenn man sich die Varusbrille aufsetzt, wäre es interessant ob er sich hier equivalent zu Caecina verhalten hat, also die Hauptkampflinie entweder der Marschroute entspricht oder eine taktische Formation zum Schutz des im Rücken passierenden Trosses darstellt, oder?
Ich kann es nur wiederholen: Pontes longi setzt die Interpretation des Walls als römisches Bauwerk voraus. Dagegen spricht aber sowohl die Art des Walls, als auch die Lage der Annäherungshindernisse.

Das wäre doch auch ein Beispiel für die Durchmischung des Ablaufs durch die antiken Autoren. Wenn Varus fortdauernd angegriffen wurde, warum sollte nicht ein römischer Wall bei einem der Stopps angelegt worden sein?

Das ist nicht auszuschließen, wird aber auch in dieser Form nicht berichtet. Ich sehe daher auch keine Veranlassung das zu vertiefen, da dies lediglich dann interessant wäre, wenn der Wall von Kalkriese römisch wäre und damit pontes longi die wahrscheinlichere Lösung wäre. Aber dafür fehlen uns sowohl die literarische, als auch die archäologische Überlieferung, es handelte sich also um reine Spekulation. Die Interpretation des Befundes als Hinterlassenschaft der Varusschlacht wäre im Falle eines römischen Walls allerdings in der schwächeren Position.
Das Anlegen von Lagern und ihren Wällen wird von beiden Schlachten berichtet.

Zu den Sümpfen noch eine Frage: hier gibt es ja wohl eine Differenz in den Schilderungen. Wenn zahlreiche Römer aus dem Engpass Richtung Sümpfe geflohen sind (als einzig offene Seite wäre das logisch), werden sich auch hier Verfolgungen abgespielt haben. Die letzte, aber für den Ausgang nicht mehr entscheidende Episode (passend zum aus den Sümpfen aufstehenden Varus) könnte demnach von den Entkommenen und aus Augenzeugenberichten stammen, was dem Brennpunkt der Schlacht am Wall und ggf. nördlich des westlichen Wallendes nicht widerspricht, sondern eher die subjektive Sicht der Überlebenden widerspiegelt.

Tacitus und Florus berichten in der Tat von Überlebenden der Schlacht. Teilweise scheinen diese vom Schlachtfeld entkommen zu sein, teilweise auch aus der Gefangenschaft befreit. Ganz genau kann man das nicht sagen, Tacitus spricht von "cladis eius superstiti, pugnam aut vincula elapsi", die Germanicus die Abläufe auf dem Schlachtfeld schildern - es ist an dieser Stelle nicht ganz klar, ob diese Überlebenden in Gefangenschaft gekommen sind und später fliehen konnten oder durch die Römer befreit wurden, oder ob sie es vermeiden konnten, in Gefangenschaft zu geraten. An einer anderen Stelle ist allerdings davon die Rede, dass Gefangene aus der Varusschlacht befreit wurden, jedoch Jahre später.
Auch Florus berichtet von Überlebenden, steht aber durchaus im Widerspruch zu Tacitus. Nach Tacitus sind alle drei Aquilifer gefallen und alle drei Legionsadler verloren gegangen und erst in den Jahren und Jahrzehnten nach der Varusschlacht zurückgewonnen worden. Florus dagegen behauptet, das einer der signifer den Adler versteckt und sich im Sumpf verborgen und somit den Legionsadler gerettet hätte.
 
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Das Anlegen von Lagern und ihren Wällen wird von beiden Schlachten berichtet.

Nur darauf kam es mir an.

Die schriftlichen Quellen widersprechen damit nicht dem Szenenbild von Kalkriese in diesem Punkt. Dass ein germanischer Wall nicht erwähnt wird, läßt keine Schlüsse zu. Ein erwähnter römischer Wall kann der vorherigen Marschphase oder zB den Engpässen nach Süden zugeordnet werden.
 
Das ist ganz logisch, denn im Wald konnten sie ihre Vorteile nicht ausspielen.

Das heißt, für Dich wäre eine römische Gegenoffensive wahrscheinlich auch am Waldrand beendet ?
Es sei denn die Truppe würde mittels beobachteten Adlerflugs durch den Feldherrn extra dazu ermutigt in den Wald einzudringen ? ( Germanicus bei Idistaviso )
 
Das potenzielle Waldgefecht ist wieder so ein Fall, den ich eher als epische Ausschmückung denn als Kriegsberichterstattung sehen würde.

ME ist das keine Frage, dass auch in (bei Luxus-Lagen) gemiedene Gebiete vorgestoßen würde, selbst wenn es da vor Germanen, oder meinetwegen Giftschlangen und Krokodilen [*] nur so wimmeln würde, wenn die Alternative völlige Vernichtung darstellt. Wenn im Übrigen der Wall in Richtung Bergkuppe bestürmt wurde, hatte das mglw. einen ähnlichen Zweck.

[*]rein OT: man kann zur Veranschaulichung mal nach Ramree/battle googeln, was verzweifelte Truppen anstellen.
 
Das potenzielle Waldgefecht ist wieder so ein Fall, den ich eher als epische Ausschmückung denn als Kriegsberichterstattung sehen würde.

ME ist das keine Frage, dass auch in (bei Luxus-Lagen) gemiedene Gebiete vorgestoßen würde, selbst wenn es da vor Germanen, oder meinetwegen Giftschlangen und Krokodilen
[*] nur so wimmeln würde, wenn die Alternative völlige Vernichtung darstellt. Wenn im Übrigen der Wall in Richtung Bergkuppe bestürmt wurde, hatte das mglw. einen ähnlichen Zweck.
[*]rein OT: man kann zur Veranschaulichung mal nach Ramree/battle googeln, was verzweifelte Truppen anstellen.

Sicherlich hast Du recht was die Fähigkeiten in Bedrohungslagen angeht.

Nun hat aber eine disziplinierte römische Armee auf dem Marsch in der Regel einen konkreten Auftrag zu erreichen. Warum also Kräfte für einen Angriff mit ungewissen Ausgang auf einen gut verschanzten Gegner verschwenden, wenn doch die Bindung in seiner Stellung ausreichen würde um relativ unbeschadet weitermarschieren zu können. Über längere Zeit einem Gegner gegenüber standzuhalten waren die Römer ja trainiert (disciplina).
Gefährlich wäre es erst wieder, wenn diese Stellung gegenüber der Waldgrenze/Wall aufgegeben wird und die Legionäre quasi rückwärts laufend dem Gross hinterher mussten, während Ihnen gleichzeitig die Germanen aus dem Wald hinterherliefen. Das könnten dann die als Auflösungserscheinungen interpretierten Funde ergeben.

Ist soetwas denkbar ?
Gruss
jchatt
 
Ich plaudere hier ja nur mit, weil mich das militärische Szenario interessiert, ich betrachte das einfach nur mal als "eine" Schlacht, Varus hin oder her. Für die Schlacht gibt es Funde, und der Wall ist operativ einfach hochinteressant, weil er nach meiner Meinung einen Kessel unterstützte.

Der marschierende Zug wurde wahrscheinlich schon mehrere Tage störend angegriffen. Für September - so auch Schriftquellen - erfolgte das bei permanentem Schlechtwetter. Die Länge des Walls sorgt dafür, dass sich der vordere Teil des Zuges im Sack befindet und vermutlich - das wäre bei dem Wallverlauf konsequent - am Ausgang auf einen Riegel aufläuft.

Die Frage ist dann: wer führte eigentlich noch und hatte auf der römischen Seite halbwegs den Überblick? In dem Szenario wird mit einem Mal - vielleicht innerhalb von einer halben oder einer Stunde - auf der Gesamtlänge der Kolonne gekämpft (zuvor nur am Schluss des Zuges).

Dabei bestehen natürlich Fragen: was war mit der Aufklärung vorn, was mit vereinzelten Seitensicherungen, die den Wall eigentlich bemerkt haben müssten? Jedenfalls ist unklar, warum der Zug sich in den Engpass weiter hinein wälzte (Verfolgung?)

Hat der Wall eigentlich nach beiden Seiten die gleiche Stützwirkung/den gleichen Wert für eine Besatzung (-> "Drainagegraben", Spitzgraben von 1 Meter Tiefe?). Oder war er nur von der Bergseite her wertvoll? Wurde er mglw. sogar erst mit Auflaufen der römischen Spitze auf eine Riegelstellung durch einen schnellen Vorstoss kuppenabwärts besetzt? Wenn sich nur ein dünner seitlicher römischer Sicherungsschleier neben den Hauptkolonnen bewegte, war das vielleicht eine Sache von einigen Minuten, den Wall von einem Versammlungsort auf der Kuppe zu besetzen. (edit: vermutlich war er bereits besetzt, da der Drainagegraben sich auf der Bergseite befindet?)

Wir wissen nicht so recht, wann sich die römische Disziplin völlig auflöste. Das hängt alles an den Umständen, vielleicht auch am unmittelbaren zeitlichen Vorlauf, am Wetter, an den schon erlittenen Verlusten, an der Unorganisiertheit der Kolonne, an nicht vorhandener Übersicht der Führung.

Man kann sich viele solcher Kesselverläufe anschauen: zum einem Zeitpunkt x ist die Disziplin hinüber, und Chaos tritt ein.
 
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naja, so ein Wall parallel zur Marschrichtung erleichtert Angriffe in die Flanke, die Zahl der Gegner wird verschleiert. Man weiß eben nicht, sind da 10 0000 oder nur 100 hinter.
Dann dürften die Römer von der Zahl der Gegner überrascht worden sein. Ja und am Ende des Walls winkte ja die "Freiheit".
 
Das heißt, für Dich wäre eine römische Gegenoffensive wahrscheinlich auch am Waldrand beendet?

Nein, so weit darf man nicht gehen. Diese Äußerung sollte nur dein ungern begründen:

Die Lösung könnte sein, daß die Legionen nur ungern im Wald kämpften.
Das wird mehrmals bei Tacitus angedeutet.
Das ist ganz logisch, denn im Wald konnten sie ihre Vorteile nicht ausspielen.

Nun hat aber eine disziplinierte römische Armee auf dem Marsch in der Regel einen konkreten Auftrag zu erreichen. Warum also Kräfte für einen Angriff mit ungewissen Ausgang auf einen gut verschanzten Gegner verschwenden, wenn doch die Bindung in seiner Stellung ausreichen würde um relativ unbeschadet weitermarschieren zu können. Über längere Zeit einem Gegner gegenüber standzuhalten waren die Römer ja trainiert (disciplina).

Allerdings gibt es gegenüber der militärischen Disziplin, der Überlebenstrieb. Zwar weiß der Soldat in der Regel, dass das Verbleiben in der Schlachtreihe seine Überlebenschancen steigert, aber der Mensch ist ja nicht nur rational gesteuert, die Instinkte(?) und Reflexe spielen ja auch eine Rolle in unserem Verhalten. So ist z.B. Fluchtverhalten oder Schockstarre in unserem ererbten evolutionären Gepäck enthalten, weil diese Verhaltensweisen dem Urmenschen in uns in der ein oder anderen Situation das Überleben sichern konnten, ohne dass er lange nachdenken und Pläne schmieden musste. In einer komplexen Situation wie einer Schlacht gegen Menschen, die in unserem Genom (ich bin mir nicht sicher, ob dieses Wort hier richtig verwendet ist) nicht vorgesehen ist, sind diese Verhaltensweisen plötzlich kontraproduktiv. Ob militärischer Drill und Ratio das ganz ausschalten können?


Hat der Wall eigentlich nach beiden Seiten die gleiche Stützwirkung/den gleichen Wert für eine Besatzung (-> "Drainagegraben", Spitzgraben von 1 Meter Tiefe?).

Die Spitzgräben wurden nur am östlichen und westlichen Wallende gefunden, und in der Archäologie weiß man, dass nichts so dauerhaft wie ein Loch ist, will sagen: wenn ein Loch wieder gefüllt wird, sind die Erdschichten durcheinandergewirbelt und organisches Material, welches zu Humus wird, macht funkle Färbungen. Das sieht dann im Falle eines Spitzgrabens etwa so aus (kein Beispiel aus Kalkriese, aber die gibt es auch, z.B. auf der Seite varusforschung.de von der Uni Osnabrück):

Bild1Profil_432_rdax_413x269.jpg
Der hier im Profil zu sehende Graben dürfte, wenn ich das richtig als Halbmetermaß interpretiere, eine Breite von etwa 2,50 m und eine Tiefe von 2 m gehabt haben (bitte keine Rückschlüsse auf Klakriese ziehen).

Die Drainagegräben waren keine Annäherungshindernisse, ihre Tiefe und Breite ist unregelmäßig, die Tiefe liegt zwischen 5 und 50 cm.
 
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Die Spitzgräben wurden nur am östlichen und westlichen Wallende gefunden, und in der Archäologie weiß man, dass nichts so dauerhaft wie ein Loch ist, will sagen: wenn ein Loch wieder gefüllt wird, sind die Erdschichten durcheinandergewirbelt und organisches Material, welches zu Humus wird, macht funkle Färbungen. Das sieht dann im Falle eines Spitzgrabens etwa so aus (kein Beispiel aus Kalkriese, aber die gibt es auch, z.B. auf der Seite varusforschung.de von der Uni Osnabrück):

Anhang anzeigen 10854
Der hier im Profil zu sehende Graben dürfte, wenn ich das richtig als Halbmetermaß interpretiere, eine Breite von etwa 2,50 m und eine Tiefe von 2 m gehabt haben (bitte keine Rückschlüsse auf Klakriese ziehen).

Der Kalkrieser Spitzgraben zeichnet sich leider weniger deutlich im Profil ab, als der aus dem sächsischen Beispiel oben.

grabung043.jpg

Wenn ich das richtig sehe, dann ist seine Tiefe gerade mal etwa 80 cm und seine Breite so um die 2 m.
 
Ich plaudere hier ja nur mit, weil mich das militärische Szenario interessiert, ich betrachte das einfach nur mal als "eine" Schlacht, Varus hin oder her. Für die Schlacht gibt es Funde, und der Wall ist operativ einfach hochinteressant, weil er nach meiner Meinung einen Kessel unterstützte.

Der marschierende Zug wurde wahrscheinlich schon mehrere Tage störend angegriffen. Für September - so auch Schriftquellen - erfolgte das bei permanentem Schlechtwetter. Die Länge des Walls sorgt dafür, dass sich der vordere Teil des Zuges im Sack befindet und vermutlich - das wäre bei dem Wallverlauf konsequent - am Ausgang auf einen Riegel aufläuft.

Die Frage ist dann: wer führte eigentlich noch und hatte auf der römischen Seite halbwegs den Überblick? In dem Szenario wird mit einem Mal - vielleicht innerhalb von einer halben oder einer Stunde - auf der Gesamtlänge der Kolonne gekämpft (zuvor nur am Schluss des Zuges).

Dabei bestehen natürlich Fragen: was war mit der Aufklärung vorn, was mit vereinzelten Seitensicherungen, die den Wall eigentlich bemerkt haben müssten? Jedenfalls ist unklar, warum der Zug sich in den Engpass weiter hinein wälzte (Verfolgung?)

Hat der Wall eigentlich nach beiden Seiten die gleiche Stützwirkung/den gleichen Wert für eine Besatzung (-> "Drainagegraben", Spitzgraben von 1 Meter Tiefe?). Oder war er nur von der Bergseite her wertvoll? Wurde er mglw. sogar erst mit Auflaufen der römischen Spitze auf eine Riegelstellung durch einen schnellen Vorstoss kuppenabwärts besetzt? Wenn sich nur ein dünner seitlicher römischer Sicherungsschleier neben den Hauptkolonnen bewegte, war das vielleicht eine Sache von einigen Minuten, den Wall von einem Versammlungsort auf der Kuppe zu besetzen. (edit: vermutlich war er bereits besetzt, da der Drainagegraben sich auf der Bergseite befindet?)

Wir wissen nicht so recht, wann sich die römische Disziplin völlig auflöste. Das hängt alles an den Umständen, vielleicht auch am unmittelbaren zeitlichen Vorlauf, am Wetter, an den schon erlittenen Verlusten, an der Unorganisiertheit der Kolonne, an nicht vorhandener Übersicht der Führung.

Man kann sich viele solcher Kesselverläufe anschauen: zum einem Zeitpunkt x ist die Disziplin hinüber, und Chaos tritt ein.

Ein paar Gedanken dazu:

Der Wall an sich ist wohl relativ schnell errichtet worden. Die Planungen dafür müssen allerdings eine gewisse Zeit in Anspruch genommen haben. Die Drainagegräben könnten sogar kurzfristig, d.h. in aller Eile angelegt worden sein, da evt. eine Unterspülung drohte.

Zum Schlachtverlauf möchte ich noch einmal auf die Ausführungen von Achim Rost kommen. Demnach könnte das ganze (sinngemäß) so ausgesehen haben:

Schon vor dem Engpass wurden die Römer angegriffen und zwar aus den Waldkanten oder aus natürlichen Verhauen. Da die Fundlage hier eher gering ist, muß man davon ausgehen, daß die Ordnung bei den Römern noch einigermaßen intakt war. Dann haben wir am Wall, bzw. am Oberesch eine große Häufung von Funden. Diese deuten auf eine offensichtliche Verschrottung hin. Stichwort: Plünderungen und zwar Plünderungen schwerster Art.
Die römischen Einheiten sind hier offensichtlich kollabiert. Weiter westlich ist die Fundlage wieder dürftiger, allerdings sind die Funde tw. deutlich hochwertiger (Silbermünzbestände/silberne Bescläge einer Schwertscheide). Man könnte davon ausgehen, daß römische Soldaten die verfolgt wurden, diese Gegenstände weggeworfen oder auch versteckt haben. Diese Gegenstände konnten von Plünderern in dieser Randkampfzone wohl eher übersehen werden.

Dies zeigt aber wohl auch, daß Kalkriese eher dem Endpunkt einer (möglichen) Varusschlacht darstellen muß.

Auch sei hier erwähnt, daß Teile des Walls schon während der Kampfhandlungen eingestürzt sind. Dies belegt das nahezu vollständig erhaltene Maultierskelett, welches am Wall gefunden wurde.
 
Und diese Gräben befanden sich (Drainage logischerweise) an der Bergseite des Walls?

... und stellten kein Annäherungshindernis dar, ebenso wie die vereinzelten Spitzgräben?

(ist nur für meine Phantasie wichtig, ob es taktisch vielleicht sogar möglich war, dass der Wall noch unbesetzt (und weniger verdächtig) war, als die römischen Kolonnen zum Engpaß zwischer dem Kalkrieser Berg und dem Moor vorrückten - wie man im Internet nachlesen kann, wird auch behauptet, dass der Wall "gut getarnt" war und sich angeblich wenig von der Landschaft abhob. Das halte ich für weniger plausibel, sofern es einen seitlichen Sicherungsschleier der Hauptkolonne gegeben hat - den wiederum könnte man sich evt. wegdenken, wenn durch die permanenten kleinen Attacken Verunsicherung eingetreten ist und die Kolonne verdichtet wurde, die seitlichen Sicherungsschleier als zu gefährlich enger an den Marschweg gezogen wurden.)

Der Wall als Sicherung zur Bergseite macht mE wenig Sinn, es sei denn, man wäre bereits im Engpaß eingeschlossen und die Sache zöge sich länger hin. Dann wären doch quer zum Berg laufende Wälle logischer, Front und Rücken zu decken.

Der Wall an sich ist wohl relativ schnell errichtet worden. Die Planungen dafür müssen allerdings eine gewisse Zeit in Anspruch genommen haben. ...

Auch sei hier erwähnt, daß Teile des Walls schon während der Kampfhandlungen eingestürzt sind. Dies belegt das nahezu vollständig erhaltene Maultierskelett, welches am Wall gefunden wurde.

Auch dazu zwei Fragen:

1. das Maultier kann nicht beim Bau unter einen einstürzenden Teil geraten sein, bzw. gibt es auch römische Fundstücke unter dem eingestürzten Wallteilen?

2. Wie wird die Bauzeit abgeschätzt? 500 Meter Länge, einige Meter Breite, vermutlich hoch? Wenn man die Kubaturen kennt (eine Art Palisade war auch eingebaut?), kann man das doch +/- abschätzen.


P.S. sorry, falls die Fragen oben irgendwo schon beantwortet worden sind, mir fehlt da die Übersicht!
 
Zuletzt bearbeitet:
Der (Drainage-)Graben befindet sich an der Hangseite des Walles.

Die V-förmigen Gräben befinden sich an den jeweiligen Enden des Walles. Sie sind nach innen (zum Berg) angelegt worden, also offensichtlich um zu verhindern, das mögliche Angreifer hinter den Wall einfallen. Auf dem Wall wurden tw. auch Pfostenlöcher entdeckt, die auf eine Palisade hinweisen.
 
Auch dazu zwei Fragen:

1. das Maultier kann nicht beim Bau unter einen einstürzenden Teil geraten sein, bzw. gibt es auch römische Fundstücke unter dem eingestürzten Wallteilen?

2. Wie wird die Bauzeit abgeschätzt? 500 Meter Länge, einige Meter Breite, vermutlich hoch? Wenn man die Kubaturen kennt (eine Art Palisade war auch eingebaut?), kann man das doch +/- abschätzen.


P.S. sorry, falls die Fragen oben irgendwo schon beantwortet worden sind, mir fehlt da die Übersicht!

zu 1.
Das Maultier hatte Glocke um den Hals, welche mit Stroh gefüllt war. Das Skelett weist einen Genickbruch auf. Wahrscheinlich hat das Maultier in Panik versucht auf den Wall zu rennen und sich dabei das Genick gebrochen.
Vor (also dem Moor zugewand) dem Wall wurden die meisten römischen Funde gemacht.

zu 2:
Wahrscheinlich nur max. einen Tag oder weniger. Aber wie gesagt: Die Planungen waren wohl eher intensiv. Irgendwo habe ich da etwas. Das müßte ich allerdings erst nachschlagen. Mehr dazu später...:pfeif:
 
Die schriftlichen Quellen widersprechen damit nicht dem Szenenbild von Kalkriese in diesem Punkt.

Die schriftlichen Quellen sind überhaupt sehr schwierig. Die vier wichtigsten sprechen zwar von Wäldern und Sümpfen, Tacitus und Cassius Dio auch von Bergen, bei Cassius ist auch von Schluchten die Rede - und er ist derjenige der von Regen und Sturm spricht, wobei der Sturm nur die Römer affektiert (herabstürzende Baumkronen), während die Germanen quasi einen Waldspaziergang machen, um die schon gegen das Wetter kämpfenden Römer noch zusätzlich zu piesacken.
Tacitus beschreibt ja die Schlacht selber nicht, sondern die Besichtigung des Schlachtortes durch Germanicus. Die Schlacht bei den pontes longi, die er beschreibt, setzt er aber mit der Varusschlacht in eine Beziehung, indem er a) dieselbe Topographie beschreibt (was allerdings auch einfach daran liegen kann, dass die Topographie eben aus Wäldern und Sümpfen bestand) und b) mehrfach durch die Protagonisten der Schlacht bei den pontes longi Bezüge zur Varusschlacht herstellt, etwa wenn Caecina der Varus im Traum erscheint oder Arminius seinen Leuten zuruft, dass die Legionen des Caecina doch das gleiche Bild abgäben, wie sechs jahre zuvor die des Varus. Er ruft ihnen nicht zu: "Seht, Caecina", sondern "seht, Varus und die an dasselbe Schicksal gebundenen Legionen".
Hätten wir die Schalchtbeschreibung zu den pontes longi nicht und die darin enthaltenen Parallelen zur Varusschlacht, so müssten wir Tacitus' Text gar als Nachweis für die Lagerschlachttheorie lesen, die wir Florus entnehmen könnten, der ja explizit von einem Überfall auf ein Lager berichtet - allerdings wissen wir bei Florus, der sich ja nach eigenem Bekunden an Titus Livius epitomisiert - dass dieser in der Darstellung eher unzuverlässig ist, den von Titus Livius vorgegebenen Stoff teilweise bis zur Unkenntlichkeit verändert. Leider sind die entsprechenden Stellen bei Titus Livius nur in den Epitomen des Florus erhalten.
Der Lagerschlachttheorie zufolge hätten dann die Römer unter Varus einen Teil des Lagers erneut befestigt, also ein Lager innerhalb des Lagers gebaut, da Tacitus von zwei Lagern in einem Satz berichtet: prima Vari castra, also das erste Lager des Varus, zeigte die Abmessungen, die einer Heeresgröße von drei Legionen entsprachen, und am halbeingefallenen Wall (semiruto vallo) und dem niedrigen Graben (humili fossa) die schon zusammengeschmolzenen Reste (accisae iam reliquiae), die dort gelagert hatten.
Bedauerlicherweise hat Velleius Paterculus nie das Werk über die Germanenkriege geschrieben, welches er in seiner Römischen Geschichte verspricht und Tacitus' Quellen Aufidius Bassus und das Werk über die Germanenkriege des älteren Plinius sind nicht auf uns gekommen.
 
zu 2:
Wahrscheinlich nur max. einen Tag oder weniger. Aber wie gesagt: Die Planungen waren wohl eher intensiv. Irgendwo habe ich da etwas. Das müßte ich allerdings erst nachschlagen. Mehr dazu später...:pfeif:

Ich habe mal nachgesehen. Die Maße werden bei Moosbauer (2006) mit 400 Meter, 4-5 Meter Breite und 2 Meter Höhe angegeben.

Grob aufgerundet also 5000 m³, eher weniger. Wenn es tatsächlich eine schwächere Riegel-Einheit gegeben hat, zuzüglich der späteren Wallbesatzung (vielleicht vom Kalkrieser Berg), könnten da einige Tausend Mann dran gearbeitet haben.

Wenn es keine weiteren, noch unbekannten Wallstücke gibt, zB. bei den Engpässen nach Süden. Dann wären die Arbeiten tatsächlich bei der Annäherung zu schaffen gewesen, während der 3. Teil dem Varus-Zug auf dem Weg zum Engpaß folgt und permanent stichelt. Zweck jeden Walls ist doch die Aufwertung der dort postierten Kräfte, und hier über die Länge. Ein solche Kesselbildung würde die Stoßkräfte hinten vermuten lassen, wo sich auch auf mit Troß durchmischt/schwächere römische Kräfte stoßen. Nach guten Stabstraditionen könnte man fragen: welche Gruppe hatte die Funktion des Hammers (Rücken), welche des Amboß (Riegel), und der Wall bildet die "Bande", den seitlichen Verschluss.
 
Und diese Gräben befanden sich (Drainage logischerweise) an der Bergseite des Walls?

Die Drainagegräben befanden sich an der Bergseite. Tiefe zwischen 5 und 50 cm.
Die Spitzgräben befanden sich an den Wallenden, zumindest der östliche Spitzgraben an der Sumpfseite (Schnitt 30 und 45). Der westliche Spitzgraben ist dagegen etwas rätselhaft, er verläuft am westlichen Wallende in Nord-Südrichtung (Schnitte 38, 10, 41 und 42).

... und stellten kein Annäherungshindernis dar, ebenso wie die vereinzelten Spitzgräben?

Wie gesagt hatten sie eine Tiefe von teilweise nur 5 cm. Die Breite habe ich irgendwo in diesem Thread mal gepostet. In der mir gerade zur Verfügung stehenden Literatur finde ich sie nicht. Wahrscheinlich habe ich entsprechende Angaben aus dem Band Kalkriese 2 zitiert.



Die V-förmigen Gräben befinden sich an den jeweiligen Enden des Walles. Sie sind nach innen (zum Berg) angelegt worden, also offensichtlich um zu verhindern, das mögliche Angreifer hinter den Wall einfallen.

:confused:
 
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