Ich meine nicht, dass Varus militärisch soviel dümmer war als Caecina....
Vermutlich bin ich da auch falsch verstanden worden.
Wenn ich Eure Aussagen falsch gedeutet haben sollte, leiste ich Abbitte. Das hängt vielleicht damit zusammen, dass in den mittlerweile tausenden von Beiträgen in diesem Thread immer wieder Äußerungen im Sinne von "...so blöd können die Römer doch nicht gewesen sein..." kamen.
Der Grund für diese Haltung liegt natürlich in den Texten von Tacitus, der unausgesprochen, aber unmissverständlich dem Varus die Schuld für die Niederlage gibt. Und diese Kritik ist nichtmal von der Hand zu weisen. Caecina hat es ja tatsächlich geschafft, sich aus ähnlich bedrängter Lage zu befreien. Vermutlich hatte er nichtmal mehr Versorgungsgüter bei sich als Varus. Er dürfte nur dem Rhein näher gewesen sein...
Ich glaube auch nicht, dass Tacitus (oder die anderen römischen Schreiber) bezüglich des Schicksals der Varus-Legionen "spekuliert" haben. Die konnten alle auf Quellen zurückgreifen, die uns heute nicht mehr zur Verfügung stehen. Außerdem bin ich sicher, dass Rom (vertreten durch Germanicus) sehr genau ergründet hat, wie es zu dieser Katastrophe gekommen ist. Wir können das den Quellen bloß heute nicht mehr entnehmen, weil die bloß etwas knapp zusammengefasst haben, was damals allgemein bekannt gewesen ist und deshalb nicht eingehender erläutert werden musste. Uns heute bieten die Funde von Kalkriese die genauesten Informationen über die damaligen Abläufe - immer vorausgesetzt, dass dort tatsächlich Varus beteiligt war. Diese Funde passen meiner Einschätzung nach recht gut zu dem Szenario, das Tacitus und auch der viel gescholtene Dio andeuten.
Was die Ausrichtung des Walls parallel und nicht quer zum Marschweg der Legionen betrifft, stimme ich @El Quijote in vollem Umfang zu: Einen Wall, der den Weg gesperrt hätte, hätten die Römer abräumen müssen. Ein Wall, der parallel zum Weg verlief, ließ es für sie "billiger" erscheinen, schnell durchzuziehen.
Deine Argumentation hinsichtlich des querverlaufenden Walles kann ich gut nachvollziehen. Aber dann hätten doch noch viele entkommen bzw. durchbrechen können. Und diese hätten dann auf freierem Feld ohne Deckung niedergemacht werden müssen.
Vollkommen richtig. Die Funde belegen ja auch, dass viele durchgekommen sind. Sie belegen sogar, dass hinter der Engstelle vermutlich keine Schlacht mehr stattgefunden hat. Das war den "Inhabern" des Walls auch von vornherein klar. Hätten sie geglaubt, an der Stelle den Kampf endgültig entscheiden zu können, hätten sie den Weg sperren müssen. Sie haben es nicht getan. Weil sie wussten, dass sie dazu vermutlich nicht fähig sein würden. Das ist einer der Gründe, warum ich ganz Deiner Meinung bin, wenn Du schreibst:
Mithin wäre dann auch Kalkriese nicht der Endpunkt der Schlacht.
So sehe ich das auch. Da ging die Schlacht nicht zuende. Da hat sie begonnen. Das war der Hinterhalt. Der zweite Grund, warum ich das glaube: Der Wall ist zwar kurzfristig improvisiert worden, aber ein bisschen Zeit brauchte man für den Bau der Anlage schon. Ich wüsste nicht, wie es den Germanen gelungen sein soll, diesen Wall zu bauen, ihn mit einem stattlichen Heer zu besetzen und dann ein bereits im Gefecht stehendes Drei-Legionen-Heer zielsicher dorthin zu drängen. Der beste Weg, die Varus-Legionen zu jenem für sie so verheerenden Ort zu bringen, war der, dem noch arglosen Varus die Rolle von befreundeten Scouts vorzuspielen und ihn munter plaudernd dorthin zu geleiten.
Zieht man die Topographie der Gegend mit in Betracht, bedeutet das, dass Varus bis kurz vor der Ankunft beim Wall sicher war, unter Freunden zu sein. Als das Heer in den Engpass zwischen Sumpf und Bergrücken eingezogen war und wegen des unbeweglichen Trosses eine Umkehr nicht mehr möglich war, begannen die Angriffe. Wenn man die Tacitus-Schilderung der Caecina-Schlacht als "Abziehbild" der Varus-Niederlage auffasst, erfolgten zuerst Störangriffe gegen die Spitze und die Flanken des Zuges und dann ein mit aller Gewalt vorgetragener Stoß von hinten gegen die Nachhut - womit die Marschkolonne zusätzlich "motiviert" worden ist, in den verhängnisvollen Engpass hineinzuziehen und bloß nicht umzudrehen. Schon schwer bedrängt, kamen die Legionäre dann beim Wall an - und da wurde die Sache erst richtig bitter.
Nach dem Enpass fächerten die Truppen auf und konsolidierten sich. Dann zogen sie weiter - was ein Fehler war. Sie hätten dort ihr Lager sichern und ein paar Tage abwarten sollen. Wie Caecina es in vergleichbarer Lage kaltblütig gemacht hat.
MfG