Kalkriese als Ort der Varusschlacht zweifelhaft

Wie ich bereits an anderer Stelle (in diesem gewaltigen Thread) erwähnt habe, wird die nächste Grabungskampagne nicht mehr im Engpass, sondern eher in der Umgebung stattfinden, u.a. spielt der Kalkrieser Berg dabei auch eine wichtige Rolle. Die Frage ist dabei auch, welche Infrastruktur den Germanen zur Verfügung stand. Auf die Ergebnisse dieser Grabungen kann man gespannt sein. Vieleicht kommt ja mehr Licht ins Dunkle...:fs:

Bezieht sich dass auf den Fuß des Kalkrieser Berges in südöstlicher Richtung, oder wird da auch die Kuppe einbezogen?

Wenn das etwa so verlaufen ist, wird die Kuppe vermutlich nur besetzt gewesen sein. Aber südöstlich befinden sich zwei Engstellen, die besetzt gewesen sein müssen, um das Entkommen zu blocken:

- zwischen Schwagstorf und Ostercappeln
- noch weiter südöstlich im Verlauf der B51 Richtung Osterkappeln.

Rein ins Blaue könnte man sich dort auch Wallbefestigungen vorstellen, wenn der Varus-Zug auf den Hauptwall und die Engstelle zwischen Kalkrieser Berg und Moor gelenkt/gedrückt werden sollte. Die beiden Stellen würden nur einen Bruchteil des Aufwandes ausmachen.

Weiß jemand, ob es Untersuchungen zum Umfang des Moores gab, resp. ob dieses im Verlauf etwa heutigen Gegebenheiten entspricht oder näher an den Kalkrieser Berg heranreichte?
 
Bezieht sich dass auf den Fuß des Kalkrieser Berges in südöstlicher Richtung, oder wird da auch die Kuppe einbezogen?

Wenn das etwa so verlaufen ist, wird die Kuppe vermutlich nur besetzt gewesen sein.

Weiß jemand, ob es Untersuchungen zum Umfang des Moores gab, resp. ob dieses im Verlauf etwa heutigen Gegebenheiten entspricht oder näher an den Kalkrieser Berg heranreichte?

Auch die Kuppe wird mit einbezogen. Aber es soll wohl auch weiter nach Spuren u.a. germanischer Besiedlung geforscht werden. Auch die hierzu bisher vorliegenden Funde sollen näher untersucht werden. Wie gesagt, es geht auch um die Frage einer germanischen Infrastruktur in der Umgebung von Kalkriese.

Der Engpass ist ca. 6 km lang. An der schmalsten Stelle (Oberesch) war er ca. 1 km breit. Allerdings war der Engpass nur an den Randzonen betretbar. Er konnte also von den Römern nicht in gänzlicher Breite durchschritten werden.
 
Weiß jemand, ob es Untersuchungen zum Umfang des Moores gab, resp. ob dieses im Verlauf etwa heutigen Gegebenheiten entspricht oder näher an den Kalkrieser Berg heranreichte?

Das eigentliche Moor lag etwa einen km entfernt, jedoch war das Gebiet in der Engstelle selbst, vor dem Eschauftrag, von Bächen, Tümpeln und kleinen Moorseen gesprägt. Es gibt im Park Kalkriese einen Landschaftsschnitt, der das Gelände so zeigt, wie es vor 2000 Jahren dalag.
 
Das dem Varus etwas Dummes passiert ist, da sind wir uns, glaube ich überwiegend einig.
Nicht wirklich. Ich stimme dem nicht zu. Jedenfalls nicht in dem Zusammenhang, in dem @Silesia gefragt hat! Es war nicht "dumm" von Varus, dorthin zu marschieren. Es war nur "dumm" dort durchzustapfen, wie ein Sommerfrischler auf dem Weg zum Hotel. Und noch dümmer war es, anschließend weiterzumarschieren, anstatt in einem befestigten Lager abzuwarten. DAS ist es, was Tacitus mit dem Varus-Caecina-Vergleich sagt: Beide waren NACH dem Debakel in einer gleich üblen Situation. Der besonnene Caecina hat sich in dieser bedrängten Lage richtig verhalten, Varus dagegen hat Mist gebaut. Das Problem war nicht der Hinterhalt selbst, sondern das Vorgehen DANACH! Den Hinterhalt hatten schließlich die Germanen gelegt. Wann, wo und wie sie das getan haben, lag außerhalb der Kontrolle der Römer. Deren Leistung wird von Tacitus nicht danach bewertet, ob es diesen Hinterhalt gab, sondern wie sie mit ihm fertig geworden sind.

MfG

Eine Meinung noch zu den sehr engagiert vorgetragenen Thesen von Aufklärung, Vorhut, Marsch und Flanke, usw.: für jede Dummheit oder Nachlässigkeit solcher Verläufe lassen sich militärhistorisch in denJahrhunderten Analogien finden. Mit Plausibilitäten kommt man da aufgrund der Schriftlage nicht sehr weit. Ein "kann nicht sein" gibt es da mE nicht.
Es geht aber hier nicht um Dummheit oder Nachlässigkeit bezüglich der Annäherung an den Wall. Es war für die Varus-Legionen unvermeidlich, dass sie sich dem Wall unvorbereitet genähert haben. Genau das hatten die germanischen Gegner beabsichtigt. Deshalb haben sie den Wall gerade dort angelegt. Von dem Augenblick an, da das römische Heer in den Engpass zwischen dem Höhenrücken und dem Sumpf einmarschiert war, gab es kein Zurück mehr. Und dieser Engpass war etwa fünf Kilometer lang! Der Wall liegt kurz vor dem Ende der Engstelle. Die Römer hatten gar keine Chance, den Wall vor dem Einzug in den Engpass zu bemerken. Als sie ihn dann gesehen haben, gab es keine Alternative mehr: Sie mussten weiter. Durchbrechen. Anzuhalten und zurückzumarschieren war keine Option. Durfte keine Option sein. Wenn die Germanen entschieden haben, an der Stelle einen Wall zu bauen, dann haben sie auch Vorkehrungen dagegen getroffen, dass die Römer an der Stelle einfach abwarten oder gar zurückmarschieren. Das war dort kein Problem, denn in der Engstelle musste der Zug der Varus-Legionen lang hingezogen und weit verteilt sein. Den Angreifern fiel es leicht, auch mit geringen Kräften - punktuell! - zahlenmäßige Überlegheit herzustellen.

Dass Varus in diese Falle geraten ist, war kein Fehler. Sowas ist in der Geschichte der Menschheit unzählige Male passiert. Sowas ist im Krieg unvermeidlich. Der Fehler lag darin, dass es ihm nicht gelungen ist, diese Falle zu überleben, obwohl das möglich gewesen wäre. Das suggeriert jedenfalls Tacitus mit seinem Verweis auf die Caecina-Schlacht.
 
Zu 1:
Wieso muß man für die Pontes-Longi-Theorie den Kalkriese Wall mit einen der Wälle/Dämme der Caecina-Schlacht gleichsetzen ?

Schon deshalb, weil es zwischen Wällen und Dämmen einen zentralen Unterschied gibt. Der Kalkriese-Wall kann unmöglich identisch sein mit den "langen Brücken", die Caecina erst instandsetzen musste, um darüber hinwegmarschieren zu können. Der Kalkriese-Wall ist eine Feldbefestigung, die eine Funktion innerhalb eines Gefechts hatte.

Wenn wir sowas bei den "langen Brücken" suchen wollen, dann können wir dort nur eine römische Befestigungsanlage finden. Tacitus schreibt nichts davon, dass die Germanen dort Wälle gebaut hätten. Er schreibt, dass Caecina das getan hat, um sich germanischer Angriffe zu erwehren, während er seinen Tross durchschleuste. Caecina hat diesen Wall gehalten und den Kampf in Richtung Wald vorgetragen. Bei Kalkriese wurde der Kampf aber vom Wall in Richtung Sumpf geführt. Wäre Kalkriese identisch mit den langen Brücken, dann würde das bedeuten, dass Caecina den Wall gebaut und ihn anschließend den Germanen überlassen hat.

MfG
 
Offensichtlich, weil diese Flanke eh nicht so einfach zugänglich war. (Tief in den Berg eingeschnittene Bachbetten).


Wer spricht davon, dass er unüberwindlich war?
Warum er nicht quer zur Marschrichtung lag, habe ich im vorhergehenden Beitrag versucht zu erklären: Einen Wall, der die Straße versperrte, hätten die Römer angreifen müssen und mit allen noch verfügbaren Kräften angegriffen. Die Genialität der Anlage lag aber darin, dass den Römern die Chance vorgegaukelt wurde, unter Verlusten zu entkommen. Sprich: die Germanen minimierten das Risiko eines römischen Angriffs auf ihre Stellung bzw. sorgten so dafür, dass von den noch verfügbaren Kräften wohl nur eine Teilmenge angreifen würde, während der Rest versuchen würde, den noch vorhandenen Tross zu schützen (ein Teil davon war ja schon zurückgelassen worden) bzw. das Heil in der Flucht zu suchen.

Ich meine mal was von flachen Bachbetten gelesen zu haben. Aber gut, das muss ich wohl noch mal nachschlagen !

Deine Argumentation hinsichtlich des querverlaufenden Walles kann ich gut nachvollziehen. Aber dann hätten doch noch viele entkommen bzw. durchbrechen können. Und diese hätten dann auf freierem Feld ohne Deckung niedergemacht werden müssen. Zumindest am Wiehengebirge war Kalkriese doch die letzte echte Engstelle.
Mithin wäre dann auch Kalkriese nicht der Endpunkt der Schlacht.
Deine Argumentation passt aber gut zum Befund: Auch westlich der Engstelle sind ja noch einige Funde gemacht worden.

Ansonsten stimme ich Dir zu. Das mit den Angrivariern hatte ich übrigens genauso gemeint, wie Du es auch geschrieben hast: Da gab es eben keine angrivarisch- cheruskische Grenze. Nur wieder mal blöd ausgedrückt.
 
Nicht wirklich. Ich stimme dem nicht zu. Jedenfalls nicht in dem Zusammenhang, in dem @Silesia gefragt hat! Es war nicht "dumm" von Varus, dorthin zu marschieren. Es war nur "dumm" dort durchzustapfen, wie ein Sommerfrischler auf dem Weg zum Hotel. Und noch dümmer war es, anschließend weiterzumarschieren, anstatt in einem befestigten Lager abzuwarten. DAS ist es, was Tacitus mit dem Varus-Caecina-Vergleich sagt: Beide waren NACH dem Debakel in einer gleich üblen Situation. Der besonnene Caecina hat sich in dieser bedrängten Lage richtig verhalten, Varus dagegen hat Mist gebaut. Das Problem war nicht der Hinterhalt selbst, sondern das Vorgehen DANACH! Den Hinterhalt hatten schließlich die Germanen gelegt. Wann, wo und wie sie das getan haben, lag außerhalb der Kontrolle der Römer. Deren Leistung wird von Tacitus nicht danach bewertet, ob es diesen Hinterhalt gab, sondern wie sie mit ihm fertig geworden sind.

MfG

Ich meine nicht, dass Varus militärisch soviel dümmer war als Caecina.
Caecina war schon westlich der Ems und hatte an der Ems wohl nochmal seine Vorräte ergänzen können (von der Transportflotte die Germanicus Heer abgeholt hatte) . Er konnte es sich leisten notfalls ein paar Tage im Lager abzuwarten.
Varus konnte das nicht. Er erwartete keine Ergänzung und der Weg nach Xanten war noch weit. (ich rechne nach Dellbrück mit maximal 17 Tagen Verpflegung und nur 15 - 20 km/tag Marschgeschwindigkeit aufgrund des schwierigen Geländes. Er musste weiter.
Die Dummheit war politischer Natur: Nämlich Arminius so zu vertrauen.
 
Nicht wirklich. Ich stimme dem nicht zu. Jedenfalls nicht in dem Zusammenhang, in dem @Silesia gefragt hat! Es war nicht "dumm" von Varus, dorthin zu marschieren. Es war nur "dumm" dort durchzustapfen, wie ein Sommerfrischler auf dem Weg zum Hotel. Und noch dümmer war es, anschließend weiterzumarschieren, anstatt in einem befestigten Lager abzuwarten. DAS ist es, was Tacitus mit dem Varus-Caecina-Vergleich sagt: Beide waren NACH dem Debakel in einer gleich üblen Situation. Der besonnene Caecina hat sich in dieser bedrängten Lage richtig verhalten, Varus dagegen hat Mist gebaut. Das Problem war nicht der Hinterhalt selbst, sondern das Vorgehen DANACH! Den Hinterhalt hatten schließlich die Germanen gelegt. Wann, wo und wie sie das getan haben, lag außerhalb der Kontrolle der Römer. Deren Leistung wird von Tacitus nicht danach bewertet, ob es diesen Hinterhalt gab, sondern wie sie mit ihm fertig geworden sind.

Vermutlich bin ich da auch falsch verstanden worden. Ich konnte und kann mir lediglich nicht vorstellen, dass die bruchstückhaften Darstellungen zur Varus-Schlacht ausreichen sollen, überhaupt eine hinreichende Wertung zu den Abläufen, geschweige denn zu einzelnen Phasen zu wagen.

Den Schluss würde ich aus der Militärhistorie, also aus Analogien zu anderen Schlachten der der Neuzeit ziehen, für die weit bessere Quellenlagen abseits einiger (unbekannter) Aussagen von Überlebenden bestehen, die weitergegeben wurden und irgendwann zB im Tacitus landeten. Es mögen ja einige Details in solchen Schilderungen den Ereignissen entsprechen, aber für eine Wertung der Abläufe halte ich das nicht für ausreichend. Militärgeschichtlich hält man da ein paar Stückchen eines riesigen Mosaiks in der Hand.

Um das plakativ zu machen: man könnte sich vorstellen, ausschließlich einige Dutzend Berichte russischer Überlebender vom Pratzen und von den Teichen in der Hand zu haben, evt. Jahrzehnte weitergegeben, und rekonstruiert den Ablauf von Austerlitz für die ö-u/russische Seite, vielleicht sogar anhand der Schilderungen von Tolstoi - das Beispiel kam mir so in den Sinn, als heute über die Kalkrieser Bergkuppe und das Moor diskutiert wurde - auf der Basis sollen dann also die Entscheidungen von Kutusov und von Liechtenstein nachvollzogen werden?

Sorry, da fehlt mir die Vorstellungskraft, wenn ich auch verstehen kann, dass man sich an die wenigen Details klammert.
 
Zuletzt bearbeitet:
Vermutlich bin ich da auch falsch verstanden worden. Ich konnte und kann mir lediglich nicht vorstellen, dass die bruchstückhaften Darstellungen zur Varus-Schlacht ausreichen sollen, überhaupt eine hinreichende Wertung zu den Abläufen, geschweige denn zu einzelnen Phasen zu wagen.

Den Schluss würde ich aus der Militärhistorie, also aus Analogien zu anderen Schlachten der der Neuzeit ziehen, für die weit bessere Quellenlagen abseits einiger (unbekannter) Aussagen von Überlebenden bestehen, die weitergegeben wurden und irgendwann zB im Tacitus landeten. Es mögen ja einige Details in solchen Schilderungen den Ereignissen entsprechen, aber für eine Wertung der Abläufe halte ich das nicht für ausreichend. Militärgeschichtlich hält man da ein paar Stückchen eines riesigen Mosaiks in der Hand.

Um das plakativ zu machen: man könnte sich vorstellen, ausschließlich einige Dutzend Berichte russischer Überlebender vom Pratzen und von den Teichen in der Hand zu haben, evt. Jahrzehnte weitergegeben, und rekonstruiert den Ablauf von Austerlitz für die ö-u/russische Seite, vielleicht sogar anhand der Schilderungen von Tolstoi - das Beispiel kam mir so in den Sinn, als heute über die Kalkrieser Bergkuppe und das Moor diskutiert wurde - auf der Basis sollen dann also die Entscheidungen von Kutusov und von Liechtenstein nachvollzogen werden?

Sorry, da fehlt mir die Vorstellungskraft, wenn ich auch verstehen kann, dass man sich an die wenigen Details klammert.

Der Vergleich mit den Mosaiksteinchen ist einfach zu schön.
Aber das ist doch das eigentlich interessante und spannende an der Geschichte. Das man sie nämlich auf verschiedene Arten deuten kann. Mit einem fast fertigen Bild ist das Ganze doch viel langweiliger. Ich glaube, dass dies auch mit ein Grund für die vielen Beiträge im Kalkriese Thread ist. Wenige Steinchen ergeben eben viele mögliche Bilder.
 
Mit einem fast fertigen Bild ist das Ganze doch viel langweiliger. Ich glaube, dass dies auch mit ein Grund für die vielen Beiträge im Kalkriese Thread ist. Wenige Steinchen ergeben eben viele mögliche Bilder.

Ist OT, aber ...

... eine Erfahrung aus der jahrzehntelangen Beschäftigung mit Militärhistorie: wenn morgen einer mit 3/4 des Mosaiks ankommt, würde ebenso gestritten.;)

Im Moment scheint man dabei zu sein, die 2 Steinchen auf die 3/4 zu bringen.
 
Ist OT, aber ...

... eine Erfahrung aus der jahrzehntelangen Beschäftigung mit Militärhistorie: wenn morgen einer mit 3/4 des Mosaiks ankommt, würde ebenso gestritten.;)

Im Moment scheint man dabei zu sein, die 2 Steinchen auf die 3/4 zu bringen.

Stimmt, weil nicht alle die gleichen Steinchen zur Verfügung haben, weil einige , vermeintlich unpassende, Steinchen einem anderen Mosaik zugeordnet wurden und weil sich über "ergänzte" Steinchen trefflich streiten lässt. :yes:
 
Deine Argumentation hinsichtlich des querverlaufenden Walles kann ich gut nachvollziehen. Aber dann hätten doch noch viele entkommen bzw. durchbrechen können. Und diese hätten dann auf freierem Feld ohne Deckung niedergemacht werden müssen.
Das Fundbild spricht ja durchaus für eine Auffächerung des Schlachtgeschehens hinter der Engstelle. Auch ist von Verfolgungen die Rede.

Militärgeschichtlich hält man da ein paar Stückchen eines riesigen Mosaiks in der Hand.

Den Gedanken hatte ich auch mal:

Die Geschichte ist ein Puzzle, bei dem die meisten Teile fehlen. Eine Ecke dieses Puzzles sind die römisch-germanischen Kriege im augusteisch-tiberischen Zeitalter. Dazu haben wir einige wenige literarische Quellen, die sich z.T. gegenseitig ergänzen, z.T. aber auch widersprechen.
Dann haben wir archäologische Funde und Befunde: verschiedene in die Zeit datierbare Lager, ein in die Zeit datierbares Schlachtfeld. Aber selbst dieses, was ein Teil des großen Puzzles römisch-germanische Kriege ausmacht und nur einen sehr kleinen Teil des Riesenpuzzles Geschichte, ist seinerseits ein Puzzle. Immerhin ein Puzzle, zu dem man hin und wieder noch ein Puzzleteil in der Ecke des Kartons findet, oder eines, welches unter den Teppich gerutscht ist. Manche Teile dieses Puzzles Schlachtfeld passen echt gut zu den Puzzleteilen Varusschlachtberichte, anderen hingegen wiederum nicht so gut. Insofern können wir die unzusammenhängenden Puzzleteile Kalkriese zwar zu den vielen unzusammenhängenden Teilchen legen, die wir in der Ecke römisch-germanische Kriege in augusteisch-tiberischer Zeit schon liegen haben, aber es passt alles noch nicht so ganz zusammen, es fehlen einfach die entsprechenden Verbindungsstücke.
 
Ich meine nicht, dass Varus militärisch soviel dümmer war als Caecina....

Vermutlich bin ich da auch falsch verstanden worden.
Wenn ich Eure Aussagen falsch gedeutet haben sollte, leiste ich Abbitte. Das hängt vielleicht damit zusammen, dass in den mittlerweile tausenden von Beiträgen in diesem Thread immer wieder Äußerungen im Sinne von "...so blöd können die Römer doch nicht gewesen sein..." kamen.

Der Grund für diese Haltung liegt natürlich in den Texten von Tacitus, der unausgesprochen, aber unmissverständlich dem Varus die Schuld für die Niederlage gibt. Und diese Kritik ist nichtmal von der Hand zu weisen. Caecina hat es ja tatsächlich geschafft, sich aus ähnlich bedrängter Lage zu befreien. Vermutlich hatte er nichtmal mehr Versorgungsgüter bei sich als Varus. Er dürfte nur dem Rhein näher gewesen sein...

Ich glaube auch nicht, dass Tacitus (oder die anderen römischen Schreiber) bezüglich des Schicksals der Varus-Legionen "spekuliert" haben. Die konnten alle auf Quellen zurückgreifen, die uns heute nicht mehr zur Verfügung stehen. Außerdem bin ich sicher, dass Rom (vertreten durch Germanicus) sehr genau ergründet hat, wie es zu dieser Katastrophe gekommen ist. Wir können das den Quellen bloß heute nicht mehr entnehmen, weil die bloß etwas knapp zusammengefasst haben, was damals allgemein bekannt gewesen ist und deshalb nicht eingehender erläutert werden musste. Uns heute bieten die Funde von Kalkriese die genauesten Informationen über die damaligen Abläufe - immer vorausgesetzt, dass dort tatsächlich Varus beteiligt war. Diese Funde passen meiner Einschätzung nach recht gut zu dem Szenario, das Tacitus und auch der viel gescholtene Dio andeuten.

Was die Ausrichtung des Walls parallel und nicht quer zum Marschweg der Legionen betrifft, stimme ich @El Quijote in vollem Umfang zu: Einen Wall, der den Weg gesperrt hätte, hätten die Römer abräumen müssen. Ein Wall, der parallel zum Weg verlief, ließ es für sie "billiger" erscheinen, schnell durchzuziehen.


Deine Argumentation hinsichtlich des querverlaufenden Walles kann ich gut nachvollziehen. Aber dann hätten doch noch viele entkommen bzw. durchbrechen können. Und diese hätten dann auf freierem Feld ohne Deckung niedergemacht werden müssen.
Vollkommen richtig. Die Funde belegen ja auch, dass viele durchgekommen sind. Sie belegen sogar, dass hinter der Engstelle vermutlich keine Schlacht mehr stattgefunden hat. Das war den "Inhabern" des Walls auch von vornherein klar. Hätten sie geglaubt, an der Stelle den Kampf endgültig entscheiden zu können, hätten sie den Weg sperren müssen. Sie haben es nicht getan. Weil sie wussten, dass sie dazu vermutlich nicht fähig sein würden. Das ist einer der Gründe, warum ich ganz Deiner Meinung bin, wenn Du schreibst:

Mithin wäre dann auch Kalkriese nicht der Endpunkt der Schlacht.
So sehe ich das auch. Da ging die Schlacht nicht zuende. Da hat sie begonnen. Das war der Hinterhalt. Der zweite Grund, warum ich das glaube: Der Wall ist zwar kurzfristig improvisiert worden, aber ein bisschen Zeit brauchte man für den Bau der Anlage schon. Ich wüsste nicht, wie es den Germanen gelungen sein soll, diesen Wall zu bauen, ihn mit einem stattlichen Heer zu besetzen und dann ein bereits im Gefecht stehendes Drei-Legionen-Heer zielsicher dorthin zu drängen. Der beste Weg, die Varus-Legionen zu jenem für sie so verheerenden Ort zu bringen, war der, dem noch arglosen Varus die Rolle von befreundeten Scouts vorzuspielen und ihn munter plaudernd dorthin zu geleiten.

Zieht man die Topographie der Gegend mit in Betracht, bedeutet das, dass Varus bis kurz vor der Ankunft beim Wall sicher war, unter Freunden zu sein. Als das Heer in den Engpass zwischen Sumpf und Bergrücken eingezogen war und wegen des unbeweglichen Trosses eine Umkehr nicht mehr möglich war, begannen die Angriffe. Wenn man die Tacitus-Schilderung der Caecina-Schlacht als "Abziehbild" der Varus-Niederlage auffasst, erfolgten zuerst Störangriffe gegen die Spitze und die Flanken des Zuges und dann ein mit aller Gewalt vorgetragener Stoß von hinten gegen die Nachhut - womit die Marschkolonne zusätzlich "motiviert" worden ist, in den verhängnisvollen Engpass hineinzuziehen und bloß nicht umzudrehen. Schon schwer bedrängt, kamen die Legionäre dann beim Wall an - und da wurde die Sache erst richtig bitter.

Nach dem Enpass fächerten die Truppen auf und konsolidierten sich. Dann zogen sie weiter - was ein Fehler war. Sie hätten dort ihr Lager sichern und ein paar Tage abwarten sollen. Wie Caecina es in vergleichbarer Lage kaltblütig gemacht hat.

MfG
 
Das ist einer der Gründe, warum ich ganz Deiner Meinung bin, wenn Du schreibst:

CStraetmans schrieb:
Mithin wäre dann auch Kalkriese nicht der Endpunkt der Schlacht.

So sehe ich das auch. Da ging die Schlacht nicht zuende. Da hat sie begonnen. Das war der Hinterhalt.

Damit habe ich dann allerdings wieder ein Problem: Sollte der Kalkrieser Wall der Ersthinterhalt sein, dann ist er tatsächlich zu kurz und zu schwach geschützt, um gegen eine Dreilegionenarmee ausgerichtet zu sein. M.E. kann der Wall nur zu einem relativ späten Zeitpunkt im Gesamtschlachtgeschehen eingeordnet werden (und auch einige Funde sprechen dafür), nämlich wenn die Truppen schon ordentlich erschöpft und geschwächt sind, es mit der Disziplin nicht mehr zum Besten stand.

Der zweite Grund, warum ich das glaube: Der Wall ist zwar kurzfristig improvisiert worden, aber ein bisschen Zeit brauchte man für den Bau der Anlage schon. Ich wüsste nicht, wie es den Germanen gelungen sein soll, diesen Wall zu bauen, ihn mit einem stattlichen Heer zu besetzen und dann ein bereits im Gefecht stehendes Drei-Legionen-Heer zielsicher dorthin zu drängen. Der beste Weg, die Varus-Legionen zu jenem für sie so verheerenden Ort zu bringen, war der, dem noch arglosen Varus die Rolle von befreundeten Scouts vorzuspielen und ihn munter plaudernd dorthin zu geleiten.

Sobald man Varus zwischen Wiehengebirge und den Mooren nördlich davon hat, braucht man eigentlich nur noch dafür zu sorgen, dass er nicht durchs Moor oder über das Wiehengebirge entkommt. So bekommt man ihn beinahe automatisch nach Kalkriese, ohne ihn bis dorthin führen zu müssen, etwas positivistisch gesprochen.

Zieht man die Topographie der Gegend mit in Betracht, bedeutet das, dass Varus bis kurz vor der Ankunft beim Wall sicher war, unter Freunden zu sein. Als das Heer in den Engpass zwischen Sumpf und Bergrücken eingezogen war und wegen des unbeweglichen Trosses eine Umkehr nicht mehr möglich war, begannen die Angriffe. Wenn man die Tacitus-Schilderung der Caecina-Schlacht als "Abziehbild" der Varus-Niederlage auffasst, erfolgten zuerst Störangriffe gegen die Spitze und die Flanken des Zuges und dann ein mit aller Gewalt vorgetragener Stoß von hinten gegen die Nachhut - womit die Marschkolonne zusätzlich "motiviert" worden ist, in den verhängnisvollen Engpass hineinzuziehen und bloß nicht umzudrehen. Schon schwer bedrängt, kamen die Legionäre dann beim Wall an - und da wurde die Sache erst richtig bitter.

Ja, so in etwa sehe ich das auch. Bis auf den Halbsatz, dass Varus bis kurz vor dem Wall dachte, unter Freunden zu sein - je nachdem wie man das "kurz vorher" zu interpretieren hat.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich glaube auch nicht, dass Tacitus (oder die anderen römischen Schreiber) bezüglich des Schicksals der Varus-Legionen "spekuliert" haben. Die konnten alle auf Quellen zurückgreifen, die uns heute nicht mehr zur Verfügung stehen. Außerdem bin ich sicher, dass Rom (vertreten durch Germanicus) sehr genau ergründet hat, wie es zu dieser Katastrophe gekommen ist. Wir können das den Quellen bloß heute nicht mehr entnehmen, weil die bloß etwas knapp zusammengefasst haben, was damals allgemein bekannt gewesen ist und deshalb nicht eingehender erläutert werden musste.
Das ist eine Vermutung zu Qualität und Quantität der Information, die Rom nach der Niederlage zur Verfügung gestanden haben könnten. Abgesehen davon, dass die germanische Seite "fehlt", sind das ein paar Augenzeugenberichte. Deren Einsichten hängen davon ab, welche Funktion sie gehabt haben, wo sie sich während der Schlacht aufgehalten haben, was sie dann dazu dichten etc. etc. Alles Spekulation, vielleicht gab es keine Untersuchungskommission, nur schwirrende Gerüchte.


Was die Ausrichtung des Walls parallel und nicht quer zum Marschweg der Legionen betrifft, stimme ich @El Quijote in vollem Umfang zu: Einen Wall, der den Weg gesperrt hätte, hätten die Römer abräumen müssen. Ein Wall, der parallel zum Weg verlief, ließ es für sie "billiger" erscheinen, schnell durchzuziehen.

Das ist so ein Punkt: Dafür kann es problemlos Erklärungen geben. Der Wall macht militärisch Sinn, wenn neben der Wallbesatzung eine Gefechtsformation quer zu ihm aufgestellt wurde, am westlichen Ende.

Das wesentlich Problem des Walls ist mE: wie wurde der östliche Teil gesichert, von dem an die Linie hätte aufgerollt werden können. Da muss es neben stärkerer Besatzung irgend etwas gegeben haben...

Damit habe ich dann allerdings wieder ein Problem: Sollte der Kalkrieser Wall der Ersthinterhalt sein, dann ist er tatsächlich zu kurz und zu schwach geschützt, um gegen eine Dreilegionenarmee ausgerichtet zu sein.
Es kommt weniger auf die Stärke des (unterstützenden) Walls an, als auf seine Besatzung.

Dazu wäre zu beachten, die Situation nicht mit einem Wall in offener Landschaft mit zwei frontal gegenüber stehenden Heeren zu vergleichen. Neben der Stärke der Besatzung ist Walls ist zu kalkulieren, welche Konzentration des Angreifers gegen den Wall überhaupt denkbar ist. Hier wurde ein Schlachtfeld sorgfältig von jemandem vorbereitet, dem eine "Bewegungsschlacht" entlang des Bergfußes vorschwebte. Der Wall muss daher eine sich gegen ihn wendende, auseinander gezogene Kolonne aushalten, bei der es in keiner Phase zu einer "Verdichtung" der 3 Legionen kommt, die dann "an einer Stelle" einen konzentrierten Stoß führen können.

Das Fundbild spricht ja durchaus für eine Auffächerung des Schlachtgeschehens hinter der Engstelle. Auch ist von Verfolgungen die Rede.
Auch das spricht dafür, dass ergänzend eine Formation germanischer Kämpfer quer zum Wall am westlichen Ende aufgestellt war.

Offenbar brauchte der Konstrukteur der Schlacht keinen Wall am westlichen Ende in Nord-Süd-Richtung, oder er hatte keine Zeit mehr zur Fertigstellung, oder zuwenig schaufelnde Hände, oder es regnete und war nebelig :pfeif:, oder er verzichtete einfach darauf.

Das größte Rätsel ist für mich bei der vermuteten Funktion: wie wurde das östliche Ende gesichert, denn die einfachste Art der Beseitigung ist das Aufrollen der Besatzung quer zur Wallrichtung? Wier wurde das ausgeschlossen?
 
Zuletzt bearbeitet:
Die pontes longi-Hypothese basiert auf dem archäologischen Fund des Walls, der weitgehend passenden Topographie (aber die Topographie ist eben an vielen Orten weitgehend passend) und Tac. ann. I, 63 bzw. 64. Hier wird davon berichtet, dass Caecina seine Truppen aufteilte, in einen kämpfenden Teil und eine anderen, der ein Lager errichten sollte. Ohne die Annahme, dass der Kalkrieser Wall ein Befestigungswerk der Römer gegen die angreifenden Germanen war, fällt die pontes-longi-Hpyothese völlig in sich zusammen.

Wäre Kalkriese identisch mit den langen Brücken, dann würde das bedeuten, dass Caecina den Wall gebaut und ihn anschließend den Germanen überlassen hat.

Wenn das ein gültiges Argument wäre, dann kann Kalkriese auch nicht das Varusschlachtfeld sein, weil es ja dort keinen Tumulus gibt und kein letztes oder erstes Lager. Das Argument diese Lager sind dann wahrscheinlich weiter östlich oder westlich zu suchen, kann ich dann mit dem Caecina-Wall ebenso kontern.
Ich glaube nicht das es DIE pontes longi-Hypothes gibt. Meine jedenfalls kommt ohne den romanisierten Kalkriesewall aus.
Jedenfalls habe ich herausgestellt das auch ich ihn für germanisch halte.

Gruss
jchatt
 
Du hast mich nicht verstanden. Die Vertreter der Pontes Longi-Hypothese behaupten, dass der Wall der Beweis gegen die Varusschlacht und für Pontes-Longi sei. Genau das passt aber nicht, weil konträr zur literarischen Überlieferung, wonach das Bauwerk römischer und nicht germanischer Herkunft sein müsste. Abgesehen von der Lokalisierung der Schlacht, die nach den Angaben des Tacitus südlich oder westlich der Ems zu suchen wäre.

Edit: Vielleicht etwas klarer ausgedrückt: Die Vetreter der Pontes longi-Hypothese setzen den archäologischen Befund Drainagegräben mit der Stelle Tac. ann. I, 64, 3 in Verbindung: "Germani ob prospera indefessi, ne tum quidem, sumpta quiete, quantum aquarum circum surgentibus iugis oritur vertere in subiecta, mersaque humo et obruto quod effectum operis duplicatus militis labor"
ÜS: "Die Germanen kannten angesichts ihrer Erfolge keine Müdigkeit. Sie gönnten sich auch jetzt keine Ruhe und leiteten alle Wasserläufe, die von den Anhöhen ringsum herunterkamen, in das tieferliegende Gelände ab. Dieses wurde überschwemmt und die fertig gestellten Befestigungsabschnitte verschüttet, wodurch die Mannschaften doppelte Arbeit zu leisten hatten."
Auf dieser literarischen Stelle und den Drainagegräben basiert die Deutung Kalkrieses als Teils des Schlachtfeldes bei den pontes longi. Unberücksichtigt bleibt dabei, dass der Wall gegen das Sumpf gerichtet ist, mit Annäherungsgräben an den Enden und einem im Wallvorfeld abgetragenen Boden.
Nur, wenn man den Wall als Verteidigungswerk der Römer gegen die vom Berg angreifenden Germanen interpretiert, rechtfertigt sich die Lesung gegen die Quelle bzgl. der Lokalisierung der Schlacht westlich bzw. südlich der Ems.
 
Zuletzt bearbeitet:
Da hast du mich missverstanden: Dass der Wall unüberwindlich war, habe ich nie behauptet, sogar die Behauptung entsprechend korrigiert. Die Genialität des Wall lag darin, dass er so angelegt war, einer schon geschwächte Truppe, die in die Enge gedrängt war, zu suggerieren, dass es einen Fluchtweg, eine Chance gäbe. Somit würden anstatt der gesamten verbliebenen Militärmacht nur ein Teil derselben kämpfen. Nach Tagen der Kämpfe dürfte es mit der Disziplin auch nicht zum Besten gestanden haben (siehe Numonius Vala). Die scheinbare Chance auf Flucht dürfte die Disziplinlosigkeit noch verstärkt haben.

Da sind wir glaube ich einer Meinung. Nur ich lass halt dem Caecina auch noch ein Türchen offen.


Wenn Germanicus sich nur mit acht Legionen in das Gebiet jenseits der Ems traute, warum sollte er das Risiko eingehen, mit nur drei Legionen zurückzumarschieren, während Caecina mit fünf Legionen eine andere Route wählte?

ich glaube es waren jeweils vier Legionen für Germanicus und Caecina, oder ?

Zudem verwendet Tacitus zwei Begriffe: Exercitus und legiones.
Germanicus führt das Exeritus, also das Heer, zurück zur Ems, er verschifft aber nur einzelne Legionen. Auch diese Formulierung spricht also für eine Trennung erst an der Ems.
Auch anderen Stellen ist für Tacitus das Exercitus die Gesamtmannschaft:
(noster exercitus sic incessit: auxiliares Galli Germanique in fronte, post quos pedites sagittatii; dein quattuor legiones et cum duabus praetoriis cohortibus ac delecto equite Caesar;...
Oder bei der Rebellion der Rheintruppen, dort wird unterschieden in ein inferioris exercitus und ein superioris exercitus, entsprechend der Provinzen Germania Inferior und Germania Superior, teilweise werden die zugehörigen Legionen einzeln genannt.)

Die Heeresgruppe Caecina wird aber mehrmals explicit erwähnt. Und sie operierte meist autark.

  • Der Überfall auf die Marser
  • Caecina schreckte den Arminius, als Germanicus mit den Chatten beschäftigt war (allerdings ohne Nennung der beteiligten Legionen)
  • Caecina wird zum Varusschlachtfeld vorausgeschickt (ebenfalls ohne Nennung der beteiligten Legionen)
  • Pontes-Longi

Die Chauken waren Wackelkandidaten. Sie hatten an der Varusschlacht teilgenommen, der Adler, der sich bei ihnen befand, konnte erst 41 zurückgewonnen werden. In der Schlacht von Idistaviso sollen sie Arminius sogar haben entkommen lassen.

Trotzdem ist Ihre Nennung hier seltsam. Denn ihr Siedlungsraum könnte weit entfernt vom Treffpunkt an der Ems gewesen sein. Es sein denn dieser wäre ziemlich weit nördlich zu lokalisieren.

Das ist so nicht richtig. Zunächst musste Aliso an der Lippe entsetzt werden und Silius ging erneut gegen die Chatten vor.

Das sehe ich nicht als zum eigentlichen Feldzugplan gehörend.
Aliso zu entsetzen war notwendig. Den Angriff auf die Chatten, sehen ich als ein Ablenkungsmanöver für die angelaufene Operation in Norddeutschland.

Dann erst geht es per Flotte an die Ems - offenbar ohne erneut das Risiko einzugehen einen Teil der Armee durch das Emsland oder Westfalen zu schicken - um von dort aus zur Weser zu marschieren. Diese Änderung des Aufmarschplanes trotz der schlechten Erfahrungen mit der See, immerhin hatte man im Jahr 16 mit einer starken Sturmflut zur Tagundnachtgleiche zu kämpfen gehabt, die zwar keine überlieferten Schiffsverluste brachte, die aber die römische Flotte offenbar an die Weser (das Visurgin ist offenbar erschlossen, es wird nach Leidener Klammersystem in [eckigen Klammern] wiedergegeben) getrieben hatte. Rätselhaft ist das Verb contendere in diesem Zusammenhang: "amnem [Visurgin], quo Caesar classe contenderat." Contendere bedeutet 'vergleichen, eilen, sich anstrengen, behaupten, stürmen, verlangen'. Hat Germanicus an der Weser seine Flotte wieder unter Kontrolle bekommen (behauptet), nachdem der Sturm sie ihm entrissen hat? Oder ist er dorthin geeilt?

Interessant daß es da im Text Unklarheiten gibt! Heißt das, daß die Stelle verdorben ist ? Der Fluss "Vidrus" (bei Ptolemaios - Vechte?) könnte hier möglicherweise sinniger sein ?

Gruss
jchatt
 
ich glaube es waren jeweils vier Legionen für Germanicus und Caecina, oder?

Ja.



Die Heeresgruppe Caecina wird aber mehrmals explicit erwähnt. Und sie operierte meist autark.

  • Der Überfall auf die Marser
  • Caecina schreckte den Arminius, als Germanicus mit den Chatten beschäftigt war (allerdings ohne Nennung der beteiligten Legionen)
  • Caecina wird zum Varusschlachtfeld vorausgeschickt (ebenfalls ohne Nennung der beteiligten Legionen)
  • Pontes-Longi

Dann ist allerdings niemals von exercitus die Rede. Das Vorausschicken zum Varusschlachtfeld kann man nicht als autarke Operation bezeichnen. Eher in die Richtung, dass Caecina die Pionierarbeiten kommandierte. Die Pontes Longi waren ja - als Örtlichlichkeit, zunächst nichts mehr als Bohlwege durch irgendwelche Sümpfe.
Die Aktion gegen die Marser und das "Erschrecken" der Cherusker kann man auch nicht wirklich als autrake Aktion bezeichnen, da Caecina sich dabei im Gebiet der Chatten oder in unmittelbarer Nähe davon aufgehalten haben muss, sozusagen, als Flankenschutz des Germanicus, mit dem Ziel eine Vereinigung chattischer und Chersukischer Streitkräfte zu verhindern.


Trotzdem ist Ihre Nennung hier seltsam. Denn ihr Siedlungsraum könnte weit entfernt vom Treffpunkt an der Ems gewesen sein. Es sein denn dieser wäre ziemlich weit nördlich zu lokalisieren.
Die Chauken sind zwischen den Oberläufen der Ems und der Weser zu lokalisieren.


Das sehe ich nicht als zum eigentlichen Feldzugplan gehörend.
Aliso zu entsetzen war notwendig. Den Angriff auf die Chatten, sehen ich als ein Ablenkungsmanöver für die angelaufene Operation in Norddeutschland.

So darf man das auch nicht verstehen. Aber man musste wieder einmal erst das Hinterland sichern, bevor man den eigentlichen Feind bekämpfen konnte. Und wieder musste man an der Ems landen.

Interessant daß es da im Text Unklarheiten gibt! Heißt das, daß die Stelle verdorben ist? Der Fluss "Vidrus" (bei Ptolemaios - Vechte?) könnte hier möglicherweise sinniger sein?

Ich weiß nicht, wie die mittelalterliche Handschrift genau aussieht. Daher kann ich dir auch nicht sagen, ob das Wort im Ganzen ergänzt wurde oder ob man ein verderbtes Wort rekonstruieren musste.
Allerdings ist die Vechte kein Fluss der ins Meer fließt. Auf der anderen Seite wäre natürlich ein Marsch der die Wattensturmflut überlebenden Legionäre nach Westen sinnvoller, als nach Osten.
Allerdings kommen Stürme meist von Westen, von daher wäre es wiederum sinnvoll anzunehmen, dass die Flotte nach Osten abgedriftet ist. Tacitus redet dagegen vom Nordwind (aquilonis).
Wobei die Annahme, dass dass Unglück in der Zuiderzee passiert sein könnte, gar nicht so schlecht ist, wenn man den Text berücksichtigt. Germanicus erleichterte die Flotte und ließ Vitellius marschieren. Bei Tacitus ist die Rede davon, dass Vitellius auf trockenem Boden oder bei niedrigem Wasserstand während der Flut marschierte. Das impliziert, dass er schon einige Tage unterwegs war, als es zur Sturm- oder Spingflut kam. Andererseits war die Zuiderzee für die Römer der Lacus Flevo, Tacitus schreibt in den Annalen zweimal vom lacus, womit nur der Lacus Flevo gemeint sein kann, das Unglück lokalisiert er aber im Oceanus. Das spricht also gegen die Lokalisiserung in der Zuiderzee. Das ist eines der vielen unlösbaren Porbleme, vor die uns Tacitus stellt.
 
Das größte Rätsel ist für mich bei der vermuteten Funktion: wie wurde das östliche Ende gesichert, denn die einfachste Art der Beseitigung ist das Aufrollen der Besatzung quer zur Wallrichtung? Wier wurde das ausgeschlossen?

Die Lösung könnte sein, daß die Legionen nur ungern im Wald kämpften.
Das wird mehrmals bei Tacitus angedeutet.
Ein Wald am Ende des Walles hätte dann die Befestigungslinie natürlich verlängert.

Um das plakativ zu machen: man könnte sich vorstellen, ausschließlich einige Dutzend Berichte russischer Überlebender vom Pratzen und von den Teichen in der Hand zu haben, evt. Jahrzehnte weitergegeben, und rekonstruiert den Ablauf von Austerlitz für die ö-u/russische Seite, vielleicht sogar anhand der Schilderungen von Tolstoi - das Beispiel kam mir so in den Sinn, als heute über die Kalkrieser Bergkuppe und das Moor diskutiert wurde - auf der Basis sollen dann also die Entscheidungen von Kutusov und von Liechtenstein nachvollzogen werden?

Sorry, da fehlt mir die Vorstellungskraft, wenn ich auch verstehen kann, dass man sich an die wenigen Details klammert.

Gut auf den Punkt gebracht.


Wenn man es, wie wir hier, aber totzdem versucht aus den Kalkrieser Funden Bewegungen und Formationen herauszulesen, dann sollte man zumindest alles berücksichtigen was historisch überliefert ist.
Und die Pontes-Longi-Schlacht ist nun mal die einzige? detaillierte taktische Überlieferung wie eine frühkaiserzeitliche römische Armee in Germanien eine Engstelle passierte.
Auch wenn man sich die Varusbrille aufsetzt, wäre es interessant ob er sich hier equivalent zu Caecina verhalten hat, also die Hauptkampflinie entweder der Marschroute entspricht oder eine taktische Formation zum Schutz des im Rücken passierenden Trosses darstellt, oder ?

Gruss
jchatt
 
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