Wenn man denn nun unbedingt Traditionslinien konstruieren will und Luther und Treitschke zu Apologeten der NS-Rassenideologie erklären will, sollte man aber auch die Unterschiede nicht völlig ausblenden. Weder für Treitschke, noch für Luther war die Frage des Blutes entscheidend.
Da bin ich anderer Meinung – Luther und Treitschke (ein Historiker!) sagen, dass (Bluts)Deutsche Wirte sind und Juden hier nur Gäste. Beide lassen Juden nur die Auswahl, sich taufen zu lassen, dann können sie bleiben, sonst sollen sie vertrieben werden.
Dass Nazis nicht einmal getaufte Juden verschonten, steht auf einem anderen Blatt.
Wo ist die Verbindung zwischen Luthers (verhetzenden) theologischen Schriften und den pseudobiologischen Rassetheorien der Nazis?
Ich sehe kaum Unterschiede zwischen der Hetze Luthers und der der Nazis, denn beide verneinen die Existenzberechtigung der Juden in Deutschland. Siehe bitte dazu meine gestrige Antwort
#55, in der die Aussagen Luthers den Taten der Nazis gegenüber gestellt habe.
Vor diesem Hintergrund ist der Wüterich Luther ein ähnlich gefährlicher Mann, wie später ein rassistischer Antisemit mit ebenfalls großer Jüngerschar.
Eben – man darf nicht vergessen, dass auch Philipp Melanchthon diesbezüglich mit Luther übereinstimmte und seine judenfeindliche Schriften weiter empfohlen hatte.
@Dion Wenn für dich der Protestantismus die Wurzel allen Judenhasses darstellt, frage ich mich, wie erklärst du dir Hitlers Judenhass, der sich im katholischen Österreich und Bayern, wo die NSDAP gegründet wurde, entwickelt hat und nicht in Berlin, Hamburg oder Wittenberg?
Was ist das für eine Frage? Kraut und Unkraut wachsen überall, es liegt an uns, dazwischen zu unterscheiden.
Außerdem konnte ich gar nicht gesagt haben, dass der Protestantismus die Wurzel allen Judenhasses darstelle, schließlich ist Judenhass älter als Protestantismus. Aber das Christentum hat seit seinem Bestehen diesen Judenhass gefördert, u.a. mit den Aussagen wie jene, Juden seien Jesusmörder gewesen.
Dann müsste man der fairnesshalber aber auch darlegen, welche eher katholischen Wurzelwerke Hitler zu seinem Judenhass inspiriert haben.
Abgesehen davon, dass auch Luther Katholik war, sprechen wir hier nicht über Hitler, sondern über Luther als Lichtgestalt, und ob seine Verehrung angesichts seiner Hetzschriften heute noch zeitgemäß ist. Dies war mein Antrieb und die Diskussion war im Ikonoklasmus-Thread gut aufgehoben – dass sie jetzt hierher verlagert wurde, war nicht meine Entscheidung.
Der Satz, wie Treitschke ihn formuliert, steht mit Luther in keinem Zusammenhang.
Klar, wer zuvor etwas als Bullshit bezeichnet, der kann nicht so leicht umkehren. Im Ernst: Da werden wir wohl nicht zusammenkommen, aber
Juden – den Hinweis auf die Giordano Bruno Stiftung habe ich schon gebracht – sehen den Zusammenhang genauso wie ich ihn sehe. Auf jeden Fall hat Treitschke die Hetzschriften Luthers gekannt und damit auch den Satz, den ich zitierte.
Dass Forscher Kinder ihrer Zeit sind, ist mir bewusst, das habe ich nie bestritten.
Freut mich, dass wir hier einer Meinung sind.
Es waren nicht nur Einzelkämpfer, bei meiner Stichprobe bin ich auf ein umfangreiches Netzwerk gestoßen:
Württembergische Pfarrhauskette – Wikipedia
Soweit da bei den Namen Links vorhanden waren, waren einige auch Mitglieder der Bekennenden Kirche, und zu der ist wohl genug gesagt worden ist.
Ich bestreite ja nicht, dass es Christen, d.h. Katholiken wie Protestenten gab, die ablehnend gegenüber den Nazis standen und Juden geholfen haben, aber die beiden offiziellen Kirchen – die katholische bis 1938, die evangelischen Landeskirchen inkl. der Bekennenden Kirche aber bis zum bitteren Ende – sagten und taten nichts gegen die Judenverfolgung.
Heißt Luther konnte hetzen und zwecks Herbeiführung von Gewalttaten an seine Anhänger in dem Maße appellieren, in dem die Obrigkeit das duldete. Befehlen konnte er nichts.
Eben, er konnte selbst nicht ausführen, was er vorschlug, aber das bedeutet doch, dass er es getan hätte, wenn er in der Lage dazu gewesen wäre. Oder meinst du, er hätte seine Hetztiraden nur so zum Spaß geschrieben?
Wenn man aber behaupten wollte, er sei der Ideengeber für die Nazis im Punkto Antijudaismus/Antisemitismus gewesen, müsste er in diesem Sinne qualitativ neues dazu "beigetragen", nicht nur alte intolerante Traditionen übernommen haben.
Sind wir hier beim Patentamt, wo nur neue Ideen zählen? Nein, er war eine Autoritätsperson, auf ihn hörte man. Zumal er sich die Mühe gemacht hatte, dass alles aufzuschreiben und zu verbreiten – und das nicht nur einmal. Das ist das Entscheidende.
Ich habe es in meinem Beitrag #55 aufgezeigt, wo die Schnittmenge Luther/Nazis lag. Aber darauf ist bisher noch keiner der Diskutanten eingegangen – es wir nur drumherum geredet und versucht, eine Metadiskussion vom Zaun zu brechen, um vom eigentlichen Problem abzulenken:
Sind seine vielen Stauten heute noch tragbar, oder müssten sie allesamt mit einem Hinweis auf seine Tätigkeit als Volksverhetzer versehen werden?
Ich möchte Luthers religiös begründeten Hass gegen Juden in seinem späteren Leben nicht schönreden, dennoch entbehrt er der rassistischen Komponente wie sie unter Torquemada, den "katholischen Königen" und ihren habsburgischen Nachfolgern an der Tagesordnung war.
Das ist nichts als der Versuch, Luthers Tat zu relativieren nach dem Motto, die anderen waren schlimmer.
Wie gesagt, das macht sein verbrecherisches Handeln in diesem Sinne nicht besser, damit man sich klar versteht, aber begründet er da tatsächlich neue Traditionen oder spricht er sich am Ende einfach nur dafür aus Methoden einzuführen, die andernorts längst geübte Praxis gewesen sind?
Letzteres würde ihn genau so zum Verbrecher machen, aber letztendlich eher zum Trittbrettfahrer anderer, als zum Begründer irgendwelcher speziellen Ansichten.
Diese Argumentation kennen ich von irgendwoher. Ja, richtig: Nach dem II. Weltkrieg sagte man nicht Trittbrettfahrer, sondern Mitläufer - und das auch zu ausgewiesenen Naziverbrechern.
Das ist ja gar nicht der Punkt, sondern welche gesellschaftlichen Strömungen eine Situation schufen, in welcher der Judenhass so akzeptabel wurde, dass der Holocaust durchgeführt werden konnte.
Und hier ist der negative Einfluss der antisemitischen evangelischen Theologen deutlich gegeben.
Und eben das wird hier von einigen negiert oder kleingeredet.
...und der Beginn dieser "Strömungen", die geradlinig und konsequent zum Holocaust geführt haben, liegt im 16. Jh.? ...und diese "Strömungen" benötigten über 350 Jahre, natürlich voller Konsequenz und permanenter Rückbesinnung auf ihren Beginn namens Luther, um sich dann im späten 19. & frühen 20.Jh. zu entfalten, um ihre Blüten gut 400 Jahre nach ihrem "Ursprung" im 1000jährigen Reich zu entfalten?
...und das lässt sich ebenso geradlinig und konsequent nachweisen??
Natürlich nicht, denn dazwischen gab es ja die Aufklärung, in deren Nachfolge Juden Rechte zugesprochen worden sind, die ihnen vorherweggenommen. Und weil einige tüchtig waren und ihre weltweiten Verbindungen untereinander nutzen konnten – ja, wenn man als Gruppe ausgeschlossen wird, rückt man noch enger zusammen –, sind manche zu Geld gekommen und durften wieder Grundbesitz haben, was wieder Sozialneid weckte: Es war der gleiche Neid, den auch Luther zu wecken verstand.