Ich erlaube mir nochmals den Hinweis auf meinen Beitrag
#111 vom 6. September 2022 im Faden
Rainer F. Schmidt und seine Beurteilung Poincare usw.:
Nochmals zu Rainer Schmidts Aufsatz in Historische Zeitschrift, in welchem er sinngemäß postuliert, Poincaré habe im September 1912 den 1914 entscheidenden Kriegssauslöse-Mechanismus erkannt, welchen er nach Ansicht von Schmidt dann entscheidend integriert und gefördert habe...ungefähr.
Natürlich fehlt bei Schmidt die Durazzo-Krise im November 1912, Serbien wollte im Rahmen des erfolgreichen Balkankriegs das albanische Durazzogebiet im Osmanischen Reich besetzten, um einen Adriahafen zu erlangen.
ÖU drohte dagegen militärisch vorzugehen - und Poincaré bemerkte entlang dem Telegramm von Iswolski an Sasonow am 23.11.1912 (Siebert, Aktenstücke, S. 590-592) am Ende, dass es in dieser sehr kritischen Zeit äußerst wichtig sei, daß Serbien sich nicht auf Ratschläge von Seiten Rußlands berufen könne, und dass es für alle klar sein müsse, dass Serbien, wenn es auf seinen Marsch nach Durazzo besteht, auf seine eigene Gefahr hin handelt.
Poincare bat Iswolski, dies Sasonow mitzuteilen.
Obwohl also im November 1912 bereits die Gelegenheit bestand, den von Poincare - nach Rainer Schmidts Aufsatz - im September erkannten Kriegsauslöse-Mechanismus für die Auslösung des angelblich von ihm gezielt anvisierten großen Krieges via Serbien-ÖU zu nutzen, tat er das nicht. Ebenso wenig ermunterte er Sasonow in irgendeiner Weise, Serbien gegen ÖU militärisch zu unterstützen bzw. eine entsprechende Zusage zu geben.
Im gleichen genannten Faden aus Beitrag
138:
Ich werde zitiert:
Dazu lohnen sich die überlieferten Zeilen von der Unterhaltung zwischen Sasonov und Poincaré bei dessen Staatsbesuch in Moskau im August 1912, Stieve, Diplomatische Schriftwechsel Iswolskis, Bd. 2, Dok 401, S. 223f, Abschnitte Der bulgarisch-serbische Vertrag und Die möglichen Verwicklungen auf dem Balkan.
Darunter wird dazu notiert:
In der Tat. Poincaré bringt sein Besorgnis zum Ausdruck, da er in dem Bündnis der Serben und Bulgaren mehr einen aggressiven als defensiven Charakter sieht.
Und Sasnow informierte darüber, er hatte also etwas getan, das die Sängerbrücke Bulgarien und Serbien darüber in Kenntnis gesetzt habe, dass das Zarenreich dieses Bündnis nur als Defensivbündnis, eben für einen Angriff Österreich-Ungarns, anerkennten wollte und nicht die Hand für irgendwelche Angriffspläne reichen wolle.
Und Poincaré klärt Sasonow darüber auf, das der casus foederis nur gegeben sei, wenn Deutschland bei einem mögliche Balkankrieg beteiligt ist. Etwas anderes würde die französische Öffentlichkeit der Regierung nicht erlauben.
Sehr informativ.
Und direkt darauf, aus Beitrag #139, genannter Faden:
Und dabei bleiben beide. Daher lehnen beide ab, den eigenmächtigen serbischen Truppenvormarsch auf albanisches Gebiet im Rahmen des sehr erfolgreichen 1. Balkankrieges (Okt.-Nov. 1912) gegen die militärischen Drohungen ÖUs und der Beistandserklärung Berlins für Wien zu schützen/Garantien zu geben usw.
Die ganzen Treue-Versicherungen gelten vor allem für den Fall, dass die ÖU-Verantwortlichen grundlos oder mit nicht ausreichend anerkannten Gründen Serbisches Staatsgebiet (Serbische Truppen?) selber angreift. Das ist kein Blankoscheck, auch keine Art Blankoscheck Poincarés für die russ. Administration.
Am 30. September 1912 lässt der dt. AA-Minister Kiderlen-Wächter in Berlin folgendes Schreiben an den Geschäftsträger der dt. Botschaft in Wien entwerfen (GP 33, S. 139 f. Zitat daraus:
Zu Ihrer Information. Als mir der französische Botschafter vor einigen Tagen im Verlauf eines Gesprächs über die Balkanlage* ganz von sich aus die Idee aussprach, wir sollten doch unser Bundesverhältnis zu Österreich-Ungarn dazu benutzen, um unserem Alliierten die Initiative zu einer energischen Friedensintervention bei den Balkanstaaten nahezulegen, habe ich Herrn Cambon den Gedanken souffliert, es möge doch auch Frankreich seinerseits seine Allianz mit Rußland zum Anlaß nehmen, um gegebenenfalls in der gleichen Richtung auf St. Petersburg einzuwirken.
Eine inzwischen eingegangene telegraphische Meldung des Kaiserlichen Geschäftsträgers in Paris läßt erkennen, daß Herr Cambon die
vorstehend ventilierten Gedanken alsbald an seine Regierung weitergegeben hat.
Die betreffende Meldung Freiherrn von der Lanckens** besagt:
„Herr Poincare redete mich auf Gespräch Staatssekretärs mit Herrn Cambon an, worin französische Einwirkung auf Rußland und deutsche
Einwirkung auf Österreich-Ungarn erwogen wird zwecks Herbeiführung gemeinschaftlicher Initiative der beiden Mächte bei den Balkanstaaten.
Konseilpräsident stellte mit Genugtuung volle Identität deutsch-französischer Interessen fest, betonte Notwendigkeit etwaiger entschiedener
Friedensintervention der Mächte und war gern bereit, in vorgedachtem Sinne demnächst mit Herrn Sasonow zu sprechen. Immerhin hege er
leise Zweifel, ob auch Österreich-Ungarn und Rußland es tatsächlich über sich bringen würden, sobald positive Maßnahmen in Frage kämen,
bei den kleinen Balkanstaaten Hand in Hand aufzutreten. Weiter meinte Herr Poincare hinsichtlich etwa in Frage kommender
Kollektivdemarchen der Mächte in Konstantinopel, er lege sich die Frage vor, ob sich Großbritannien an solchen jemals beteiligen werde."