Da war der Schlieffenplan sozusagen eher nebensächlich, eben etwas, um überhaupt was zu haben.
Nein, das unterschätzt die Bedeutung der Planung sehr gravierend. Allerdings muss man m.E. seine Bedeutung immer im Kontext der relativen Schwäche Russlands von 1905 (russisch - japanischer Krieg) und danach sehen, um den militärischen Imperativ der Westausrichtung seiner Planung voll zu nachvollziehen zu können.
Und dieser Zeitpunkt ist dann auch der Beginn der Neuordnung der Allianzstrukkturen in Europa und somit auch der eigentlich Beginn der zunehmenden "Hysterie" des "Eingekreistsein", das ca. 1908/09 auch publizistisch sich niederschlägt und ab diesem Zeitpunkt die Selbst- und die Fremdwahrnehmung im DR strukturiert.
Allerdings ohne zu reflektieren, dass es - wie im Forum häufiger schon betont - durch ein betont aggresives Auftreten des DR auch eine Selbsteinkreisung war.
Zum einen gab es bereits zwischen Schlieffen und Bülow Kontakt über die Operationsplanung, zudem auch Aufträge der Politik für eine solche Feldzugplanung.
In ihrem Buch über Moltke geht Mombauer auch auf Schlieffen ein. Und ihr Psychogramm seiner Person ist sehr interessant (S. 79 ff).
Schlieffen war offensichtlich ein sehr verschlossener Zeitgenosse, der nicht ausführlich kommunizierte.
1. Das trifft zu auf die Kommunikation mit dem österreichischen Generalstab und verhinderte eine Koordination der beiden militärischen Planungen mindestns bis ca. 1908 (vgl. S.81/82).
2. Bis 1912 wurde von Schlieffen & Moltke weder dem Kriegsministerium, noch dem Kanzler oder dem Auswärtigem Amt eine Information über die Planungen und die politsichen Implikationen der militärischen Aktionen mitgeteilt. Bestimmte Aktionen der militärischen Planungen, wie beispielsweise der Angriff auf Liege erfuhr der Kanzler bzw. auch KW II erst am 31. 07. 1914.
3. Es gab zudem keine abgestimmte Planung zwischen der Armee und der Hochseeflotte (S. 83). Weder für den Kanal noch für die Kriegsführung im Baltikum, die beide extrem wichtig hätten sein können für die Kriegsführung auf dem Lande.
4. Schlieffen hatte nie eine "Vier-Augen"- Audienz beim Kaiser. Er ging immer zusammen mit den Kriegsminister zum Kaiser und das verhinderte weitgehend, dass der Kaiser in die "Tiefen" der Planungen "eingeweiht" wurde. Und es verhinderte die entsprechenden Rückwirkungen von KW II als Vorgaben an das Kriegsministerium bzw. an den Kanzler. Die Ursachen waren dabei eine massive Rivalität zwischen Schlieffen und Generalen aus dem Kriegsminister, vor allem zu Einem, Hülsen-Haesler und Plessen. Schlieffen ging davon aus, dass das Kriegsministerium ihn ablösen möchte (S. 84).
5. In diesem Sinne waren die Planungen von Schlieffen ohne eine substantielle Unterstützung durch seine unmittelbaren Vorgesetzten. Die zudem völlig andereVorstellungen verfolgten. Und aus der Sicht von Schlieffen waren die Planungen ein Anforderungpaket, das durch die massive Erweiterung der deutschen Armee erst in den Status einer realitischen Planung gehoben werden sollte. Es war ein "Auftrag" an Moltke, diese Erweiterungen der Armee umzusetzen, um den Schlieffenplan überhaupt durchführen zu können! (S. 86).
6. Allerdings hat Moltke bis 1911 diesen Auftrag nicht erkannt bzw. angenommen. Die Agadir-Krise 1911 veränderte das Problembewußsein des Generalstab, indem man das DR nicht mehr als die anangefochtene militärische Macht auf dem Kontinent definierte. Und einen massiven Aufrüstungsbedarf für das Heer erkannte.
7. In disem Kontext stimmte erst in 1910 Moltke der Erweiterung, die Kriegsminister von Heeringen vorgeschlagen hatte zu. Auch, weil er vorher den Konflikt mit dem Kriegsministerium nicht gesucht hatte. Allerdings mit dem Effekt, das Bethmann Hollweg die Umsetzung verhinderte (S. 88).
Vor diesem Hintergrund ist es sicherlich richtig, die Planungen für die Operation Barbarossa nicht zu Maßstab zu machen, allerdings wird auch deutlich, wie gering die Synergien zwischen dem Generalstab, dem Kriegsministerium, der Marine, dem Kaiser und dem Kanzler, inklusive Fachminister, eigentlich waren.
Und es macht m.E. auch deutlich, wie weit das DR in 1914 davon entfernt war, kriegsbereit zu sein, obwohl es sich durch die Planungen Russlands mental in den Zugzwang begeben hatte, einen Präventivkrieg möglichst frühzeitig zu führen (vgl. 8. Dezmeber 1912).
Helmuth Von Moltke and the Origins of the First World War - Annika Mombauer - Google Books