...und Varus wird immer weiter geschlachtet

Den Standpunkt der Historiker nachzuvollziehen fiel mir nicht schwer, schwerer war meine Überlegungen zu begraben, einzugestehen, daß ich mangels echter realer Infos nicht weiterkommen würde.

Zwischenzeitlich habe ich ziemlich viel hier gelesen und gebe zu, daß alles schon 8x verdaut worden ist. Das ist aber ein Problem für Newcomer wie mich, die natürlich auch eigene Ideen entwickeln, ohne ad hoc zu verstehen, daß fast alles schon mal da war. Und es ist ein Problem für Moderator und altgediente hier noch lebende Historiker, alles nochmal zu lesen. Ich denke, man wird zugunsten neuer interessierter Leserschaft kleine Kompromisse machen müssen, bloß welche???
Ich würde mich nicht lange grämen. Der unendliche "Varus-Kalkriese"-Thread ist außergewöhnlich, und was er eigentlich ist, who knows?
Ein nationales Phänomen der historischen Selbstvergewisserung? Die Lust am Spekulieren?

In Frankreich mag es einmal eine vergleichbare Diskussion um das Schlachtfeld von Alesia gegeben haben, und es mag sein, dass es auch heute noch Hobbyforscher gibt, die Alternativstandorte der Belagerung des Oppidums vorschlagen, ich behaupte jedoch, dass dies niemanden mehr hinterm Ofen hervorlockt, so unbestritten ist Alise-Sainte-Reine (Bourgogne-Franche-Comté ) in der Forschung und der breiten Öffentlichkeit.
Die leidenschaftliche und immer neu blühende wilde Debatte würde ich eher dem 19.Jahrhundert zuordnen (ich war vor 6 Jahren in Alise-Sainte-Reine im Museum, der Forschungsgeschichte und der nationalistischen Aufladung und Heroisierung im 19.Jahrhundert widmet sich eine eigene Abteilung).

Ich verpasste, als ich im Geschichtsforum (2013?) einstieg, die ausführlichste Debatte im Kelten-Ordner, das machte mich damals wehmütig, ich hatte das Gefühl "alles verpasst" zu haben, "wie weit sind die Kelten nach Norden vorgestoßen...?", eine Auseinandersetzung zwischen "Alter Schule" und ModernistInnen (sehr verkürzt), ausgelöst durch die sensationellen Funde der Schnippenburg (nordöstlich von Osnabrück) und am Glauberg (Wetterau in Hessen).

Ein bischen neidisch schaute ich manchmal vom dümpelnden Kelten-Ordner-Kahn aus auf den "Kalkriese als Ort der Varusschlacht zweifelhaft"-Thread, der scheinbar unendliche Energie hat, und ein Schiff mit sagenhaften Treibstoffvorräten zu sein schien, die Segel immer unter Wind; sein "Ruhm" scheint mir jedoch bei näherem Hinsehen wie sein Thema: zweifelhaft...

Vielleicht ist machmal die gallische Lösung die pragmatisch sinnvollste, um eine Diskussion zu beenden:

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@Biturigos
Ein Beispiel der Lebenswirklichkeit, aber nicht belegbar, ist Einsichtsfähigkeit.
Am Beispiel Arbalo(vermutlich enges Tal, unübersichtlich) konnte jeder römische Militär ab 12 v Lehren ziehen. Vermeide Örtlichkeiten, die ein Risiko für Dich darstellen.
Varus war um dieselbe Zeit glaube ich in Tribun in Raetien, wird ihm bald darauf zu Ohren gekommen sein. Er hat wahrscheinlich sich nicht danach gerichtet und ist zumindest in ein Gebiet gezogen, das verminderte Verteidigungsfähigkeit anbot.
Hätte er die Erfahrung Arbalo richtig adaptiert, hätte er vermutlich denselben Weg als Rückweg genommen, den er als Hinweg benutzt hat.
Also ein Einsichtsproblem?
Falls die römische Armee eine Militärakademie hatte, (interessante Frage, hm), sollten angehende Offziere an sehr vielen historischen Niederlagen ob gegen die Samniten Schlacht an den Kaudinischen Pässen – Wikipedia , gegen Hannibal Schlacht am Trasimenischen See – Wikipedia , gegen Viriathus (Schlacht am Engpass des Barbesula (147 v.Chr.) auf die Gefahren von Schluchten und Engpässen aufmerksam gemacht werden.
 
@Biturigos,
meine überschiessende Phantasie hatte Vorläufer.Im 3.Semester macht man den kleinen STR ggf den großen BGB. In der Hausarbeit zum kleinen STR habe ich eine Auslegung(h.M.) gleich nochmal ausgelegt. Gab eine 3- und zehn ?.
Und damit ist der Erklärung Genüge getan
 
@Biturigos
Ein Beispiel der Lebenswirklichkeit, aber nicht belegbar, ist Einsichtsfähigkeit.
Am Beispiel Arbalo(vermutlich enges Tal, unübersichtlich) konnte jeder römische Militär ab 12 v Lehren ziehen. Vermeide Örtlichkeiten, die ein Risiko für Dich darstellen.

Die Lebenswirklichkeit sieht so aus, dass, wenn man riskante Örtlichkeiten ausschließen will, gar nicht erst zum Feldzug aufbrechen darf. Wenn man längere Strecken über Land marschiert, liegen früher oder später Berge, Wälder, Flüsse oder Sümpfe im Weg, die man durchqueren muss. Und wenn der Feind damit rechnen kann, dass man irgendwo ein Nadelöhr passieren muss, kann er das ausnutzen.

Bei den Feldzügen in Germanien war es regelmäßig so, dass den Römern überraschende Vorstöße gelangen (die germanische Spionage scheint auch nicht richtig funktioniert zu haben, da sie den Marschweg nie genau im Voraus kalkulieren konnten); auf dem Rückweg war es anders, die Germanen wussten ja, wohin die Römer wollten (natürlich zurück in ihre Standlager), daher konnten sie sich auf die Engstellen konzentrieren. So ist es vor Varus schon Drusus ergangen und nach Varus dann auch wieder Germanicus bzw. Caecina:

Als Germanicus 14 n. Chr. den Rhein überschritt, gelang ihm ein Überraschungsangriff auf die Marser. Der germanische Gegenschlag durch die Brukterer, Tubanten und Usipeter erfolgte erst, als das römische Heer auf dem Rückmarsch war. Die Germanen besetzten die bewaldeten Höhenzüge, durch die das Heer auf dem Rückmarsch kommen musste, und griffen die Nachhut an.

Auch 15 n. Chr. gelang Germanicus ein Überraschungsangriff, diesmal auf die Chatten. Und erneut war es der Rückmarsch, bei dem die Germanen den Legionen die größten Scherereien bereiteten, indem sie das Nadelöhr der "langen Brücken" besetzten.
 
Die Darstellung der Einsichtsfähigkeit und Risikobereitschaft zu geschätzt je 50 % ist Dir gut gelungen, Sepiola
 
In den antiken Quellen wird immer wieder die Bündnistreue gelobt. Im spanischen Krieg forderte ein römische Heerführer den Bewohnern eines keltiberischen Oppidums die aus Numantia zur Hilfe geeilten Truppen auszuliefern, sonst würde die Stadt vernichtet. Als sich die Bewohner der Stadt dazu entschlossen, die Numantianer auszuliefern um ihr Leben zu retten, wehrten sich diese, und die Römer stürmten gleichzeitig das Oppidum. Anschließend ließen sie die arevakischen Hilfstruppen aus Numantia frei, deren Mut sie beieindruckt hatte, während die verräterische Stadt die Verachtung der Römer zu spüren bekam (Textstelle habe ich nicht im Kopf, aus einem der Kapitel ab 32 der ab urbe condita, denke ich)
Falsch erinnert, es war ein Bruchstück im 33.Buch von Diodors Historischer Bibliothek (V.193. {17,1}): Quintus Pompejus belagert Lagni (141 v.Chr.).
 
Sepiola, zum Beitrag 266 (letzter Satz): waren die pontes tatsächlich beim Rückzug vom Chattenfeldzug im jahr 15 zeitlich richtig eingeordnet?Ich war bisher davon ausgegangen, daß Cecina die pontesgeschichte besetzt.
Und wie beurteilst Du Roland Gernand und seine Mattium-Verortung?
 
Sepiola, zum Beitrag 266 (letzter Satz): waren die pontes tatsächlich beim Rückzug vom Chattenfeldzug im jahr 15 zeitlich richtig eingeordnet?
Du hast recht, Tacitus berichtet von zwei Feldzügen anno 15, das war der Rückmarsch vom zweiten Feldzug dieses Jahres.

Und wie beurteilst Du Roland Gernand und seine Mattium-Verortung?
Wo verortet Gernand Mattiacum, und was sind seine Argumente?
 
Bevor ich etwas like ohne genau durchzulesen(siehe likerei 266), frage ich lieber nach.Er schreibt zumindest gut lesbar für Laien.
Wenngleich:habe römerfreunde sonst schon gelesen, überzeugte mich nicht immer

Der verlinkte Aufsatz gehört sicher auch zu den wenig überzeugenden Ergüssen, es wimmelt von groben Fehlern.

Ich greife zwei Beispiele heraus:

1. Zum Namen Mattium schreibt er zunächst - völlig richtig:

"Bei dem Namen handelt es sich um die latinisierte, römische Benennung einer offensichtlich größeren zentralen Siedlung."

Latinisiert heißt: Die Römer haben dem einheimischen Namen eine lateinische Endung (-ium) angehängt. Das haben die Römer (und auch später die Lateiner) gern gemacht. Aus Segimer wird Segimerus, aus Karl wird Carolus etc.

Dann schreibt er aber Blödsinn:
"Es wurden in der Vergangenheit immer wieder Versuche unternommen, den Namen Mattium sprachlich auf heutige Namen abzuleiten. Namensähnlichkeiten wie Maden, Metze und der Bach Matzoff werden teilweise bis heute ins Spiel gebracht. Diese Namensvergleiche sind jedoch nicht möglich, weil der Name lateinisch-römischen Ursprungs ist."
Natürlich ist nicht der Name lateinisch-römischen Ursprungs, sondern nur die Endung. Und es gibt natürlich lateinisch überlieferte geographische Namen, die sich bis heute erhalten haben. Besonders langlebig sind Gewässernamen, und tatsächlich sind von den Flussnamen, die Tacitus überliefert, fast alle bis auf den heutigen Tag erhalten: Luppia (Lippe), Amisia (Ems), Visurgis (Weser), Albis (Elbe); und dass die Adrana die heutige Eder ist, bezweifelt auch Gernand nicht. Der Gewässername Matzoff und der Siedlungsname Metze könnten sehr wohl mit dem antiken Mattium zusammenhängen. (Es geht bei seriöser Namenkunde auch nicht um "Namensähnlichkeiten", sondern um lautgesetzlich ableitbare Namengleichungen.)

2. Ein hanebüchenes "Argument" ist:
"Einen weiteren Flussübergang hätte Tacitus - der jede Kleinigkeit aufführte - mit Sicherheit erwähnt"
Schön wär's, wenn Tacitus bei seiner Darstellung der Germanicus-Feldzüge jeden einzelnen Flussübergang aufgelistet hätte. Nein, Tacitus rattert bei seiner Darstellung keineswegs "jede Kleinigkeit" herunter, sondern macht, wann immer es ihm passt, auch großzügige Sprünge.
 
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Herzlichen Dank, Sepiola
Um noch etwas möchte ich Dich bitten im Zusammenhang 2. Feldzug Chatten im Jahr 15Auszug:"doch Caecina, der sich bald , bald dort bewaffnet zeigte,schüchterte sie ein;und die Marser, die ein Treffen wagten, bezwang er in einer glücklichen Schlacht."

1. Reden wir von einem Scharmützel(wie Treffen im Ungefähren) oder von einer Schlacht unter Einbeziehung seiner 4 Legionen?
2. was ist eine "glückliche Schlacht bei Caecina
3.wird die Rückkehr von dem Marserbesuch anno 14 unter Bedrängnis auch als glückliche Schlacht bewertet?
4. War das Entkommen von Arbalo eine glückliche Schlacht?
5. Caecina pontes longi:war dies auch eine glückliche Schlacht?

Fragehintergrund ist wie folgt:
Niederlagen sind es nie, Entkommen wird als Erfolg gefeiert

Ist es richtig, daß das militärische Vorgehen nur a) als Zangenbewegung oder nur b) als massierten Gesamtheereinsatz vorgenommen wurde?
 
1. Reden wir von einem Scharmützel(wie Treffen im Ungefähren) oder von einer Schlacht unter Einbeziehung seiner 4 Legionen?
Der gute Tacitus, der wie soll oft viele Details weglässt, lässt uns hier leider mal wieder im Unklaren.
Caecina wird aber wahrscheinlich nicht nur ein kleines Häufchen befehligt haben.


2. was ist eine "glückliche Schlacht bei Caecina
Eine Schlacht, die gut gelaufen ist, würde ich sagen.

3.wird die Rückkehr von dem Marserbesuch anno 14 unter Bedrängnis auch als glückliche Schlacht bewertet?
4. War das Entkommen von Arbalo eine glückliche Schlacht?
5. Caecina pontes longi:war dies auch eine glückliche Schlacht?

Als "prosper" ("so, wie man sich das nur wünschen kann") wird jedenfall keine dieser Schlachten beschrieben. Der Ausdruck passt umso weniger, als die Römer bei diesen Gelegenheiten doch jeweils in eine recht unglückliche Lage gerate sind. An den pontes longi ging der gesamte Tross verloren, das war ganz sicher kein "felix proelium".


Ist es richtig, daß das militärische Vorgehen nur a) als Zangenbewegung oder nur b) als massierten Gesamtheereinsatz vorgenommen wurde?
Das würde ich jedenfalls so nicht unterschreiben.
 
Könnte mir bitte jemand einen link zur Verfügung stellen, der die gesamten Funde in Kalkriese nennt. Ich finde über die ungewöhnlichen Kostbarkeiten nicht, die aurei sind bekannt
 
Danke, Sepiola, Zangenbewegung hatte ich mich orientiert am geplanten Krieg gegen Marbod(von Westen durch die Wälder, von Süden durch Tiberius selbst, beim Einsatz des Gesamtheeres nahm ich Drusus als Beispiel.

Das wollte ich wissen: die Schlachten waren nicht prosper beschreibbar.

die glückliche Schlacht des Caecina 15 beim chattenfeldzug führte immerhin dazu, daß die Marser den Chatten nicht helfen konnten....sie war also prosper :)
 
Danke, Sepiola, Zangenbewegung hatte ich mich orientiert am geplanten Krieg gegen Marbod(von Westen durch die Wälder, von Süden durch Tiberius selbst, beim Einsatz des Gesamtheeres nahm ich Drusus als Beispiel.

Deine Frage hatte ich eher im Hinblick auf eine konkrete Schlacht verstanden. Wenn Du aber das strategische Gesamtkonzept meinst, würde ich so antworten:
Grundsätzlich gibt es natürlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder greift man mit der gesamten Heeresmacht an einem Punkt an, oder man rückt auf getrennten Wegen vor. Zweiteres kann den Sinn einer Zangenbewegung haben, das Ziel könnte sein, den Gegner einzukesseln. Das strategische Konzept könnte aber auch darin bestehen, den Gegner abzulenken: Man schickt einen kleinen Teil des Heeres zum Angriff auf einen strategisch bedeutsamen Punkt. Die Absicht ist nicht, diesen um jeden Preis einzunehmen, sondern den Gegner dazu zu zwingen, diesen Punkt mit starken Kräften zu verteidigen, was eine Schwächung seiner Hauptstreitmacht bewirkt. Ein anderes Vorgehen könnte darin bestehen, das Heer aus logistischen Gründen zu teilen (wenn man bei der Versorgung darauf angewiesen ist, die durchzogenen Landstriche zu plündern) und den Hauptschlag dann wieder mit vereinten Kräften zu führen. Da würde ich nicht von "Zangenbewegung" sprechen.
 
Danke sepiola,
nach dem bisherigen Lesen sind mir Zange und Gesamtheer aufgefallen, daher meine Frage. Du hast natürlich mit der Anpassung dieser Taktiken an die Gegebenheiten recht. Ich feue mich natürlich, daß ich Dank Deiner Auskunftsfreude weiterkomme.
Danke El Quixote, ist nicht meine Faulheit, bin schwer-und gehbehindert und müßte erst nach Münster fahren. Und den Rollstuhl habe ich nicht, weil ich zu faul bin zu gehen
 
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Jeder hat so seine Lernmethoden. Leider könnte ich noch nie in vollbesetzten Räumen etwas aufnehmen, weil mich die Nebengeräusche gestört haben
 
Könnte mir bitte jemand einen link zur Verfügung stellen, der die gesamten Funde in Kalkriese nennt.

Den gibt es nicht. Die Ausgrabungen der ersten beiden Jahrzehnte wurden in sechs Bänden dokumentiert, die 1996 bis 2012 erschienen sind. In der Zwischenzeit hat es zahllose Neufunde und Spezialuntersuchungen gegeben, die in einer Fülle von eigenen Publikationen vorgestellt wurden. Das abschließende mehrtausendseitige Werk "Die gesamten Funde in Kalkriese" ist noch nicht einmal in Arbeit...
 
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