Was bedeutet "saltus"?

@ El,

Kolon und Semikolon sind und bleiben Satzzeichen. Der Satz ALLES zwischen Ems und Lippe wurde zerstört ergibt keinen Sinn. Was alles ?
 
Sepola: In der Tat ist mir nicht ganz klar, was Du sagen willst:
Erst sagst Du, Tacitus hätte lediglich die Erwartungen seiner Leser bedient. Dann postulierst Du, Tacitus hätte sicherlich auch selbst daran geglaubt, dass Germanien größtenteils aus unwirtlichen Wäldern und Sümpfen bestehe. Und dies, obwohl er alle ihm zur Verfügung stehenden Informationen gewissenhaft ausgewertet hätte. Sicherlich hätte es römisches Interesse gegeben, das germanische Wirtschaftspotential herunterzuspielen. Der Vorwurf, Tacitus hätte Quellen absichtlich verfälscht (der übrigens von Dir impliziert wird, ich habe dies nicht gesagt), sei allerdings albern.

Lassen wir mal Hakenpflug und Roggenanbau bei Seite. Was die Städte angeht, bin ich ziemlich sicher, dass römische Berichte über die Ruinen von Manching und von Tarodunum (Zarten bei Freiburg) vorlagen - planmäßig angelegt, für Zigtausend Einwohner, mit Stadtmauer, Steinhäusern, und Tempeln, wiewohl vermutliich ohne Thermen. Zugegebenermaßen keltisch, nicht germanisch, schon aufgegeben, und Manching am Süd- nicht am Nordufer der Donau. Nichtsdestotrotz in einer soliden Beschreibung der Germania erwähnenwert. Vermutlich eine Runde kleiner, aber immer noch erwöhnenswert, auch wegen der dortigen Eisenindustrie, war Wetzlar (Mattium?).
Geschichte der Stadt Wetzlar ? Wikipedia:
Mindestens seit der keltischen La-Tène-Zeit wurden in und um Wetzlar an der Oberfläche liegende Zersetzungsprodukte aus dort befindlichen Eisenerzlagern aufgesammelt und an Ort und Stelle in Rennöfen[3][4] zu Schmiedeeisen verhüttet.[5] Die Fundstätten werden als Rolllager bezeichnet.[6] Somit hat die Eisenverarbeitung in und um Wetzlar eine rund 2500-jährige Tradition.[4]
Auf der Gemarkung Wetzlars bestanden mindestens drei keltische Siedlungen. Die Wallanlagen auf dem Stoppelberg datieren wohl in die ältere Eisenzeit (Hallstatt D, 650–475 v. Chr), es könnte sich also um eine befestigte Höhensiedlung, eine sogenannte Burg, handeln.[7]
Siedlungen germanischen Ursprungs[8] werden gegenwärtig im Rahmen von Forschungsgrabungen des Bereichs für Ur- und Frühgeschichte der Universität Jena freigelegt. Die Grubenhäuser waren ebenfalls mit Graben und Wall versehen. Sie stammen zum Teil aus der Zeit um Christi Geburt und waren ca. 1400 Jahre lang besiedelt. Die Keramik- und Metallfunde deuten auf einen regen Kontakt zu dem nahe gelegenen römischen Limes hin. In Wetzlar fanden Archäologen unter anderem ein vergoldetes Fragment einer 2000 Jahre alten römischen, lebensgroßen Reiterstatue.[9]
In Waldgirmes, unmittelbar an der östlichen Stadtgrenze, befand sich eine zivile römische Siedlung im Aufbau (siehe Römisches Forum Lahnau-Waldgirmes) und in Dorlar gab es ein römisches Militärlager. Ein Wegenetz in und um Wetzlar ist vorhanden
In dem oppidum auf dem nahegelgenen Dünsberg lebten zur La-tene-Zeit bis zu 2.000 Menschen - viel weniger dürfte Wetzlar zur frührömischen Zeit auch nicht beherbergt haben. Grund, dort ein Forum aufzubauen, vermutlich als regionaler Verwaltungsmittelpunkt, gab es also genug. Irgend ein Römer muss darüber geschrieben haben.

Weiter hoch die römische Marschroute folgt Fritzlar, ebenfalls Siedlungskontinuität, Ende des 6.Jahrhunderts als oppidum bezeichnet, Hier, oder in der unmittelbaren Nähe, an der "kleinen" Ems (ein westlicher Nebenfluss der Eder), wird Ptolemäus Amisia vermutet. Das ökonomische Herzland der Chatten war den Römern wichtig genug für mehrere Feldzüge. Was hat Tacitus zu berichten (ich spare mir den lateinischen Urtext, Hervorhebungen durch mich):

Annalen I,56:
Aber für die Chatten erschien er so überraschend, dass alles Volk, das wegen des Alters und Geschlechtes nicht wehrfähig war sofort gefangen genommen und erschlagen wurde. (..) Nachdem sie vergebens versucht hatten, Friedensverhandlungen anzubahnen, ging eine Anzahl zu Germanicus über, während die übrigen ihre Dörfer und Gehöfte verließen und sich in die Wälder zerstreuten. Der Caesar steckte Mattium den Vorort (genti caput) ihres Volksstammes, in Brand, verwüstete das flache Land und wandte sich zum Rhein, ohne dass es der Feind gewagt hätte, die abziehende Truppe im Rücken anzugreifen, was doch sonst seine Art ist, wenn mehr List als Furcht der Grund ihres Zurückweichens gewesen ist.
Höuser, Gehöfte, eine Hauptstadt, alles im doch so unwirtlichen Mittelgebirge....

Der Bergbau im Sieger- um Sauerland lieferte das Blei für die Wasserleitungen einiger rümischer Militärlager, wird also auch von der einen oder anderen römischen Quelle erwähnt worden sein. Und die intensive, Jahrtausende alte Salzgewinnung in Soest, Heilbronn, Schwäbisch Hall etc. kann den Rümern auch nicht entgangen sein - die Bad Nauheimer Saline betrieben sie ja selbst weiter.

Ich habe gesagt, dass Tacitus seine Quellen zum saltus teutoburgiensis sicherlich mit der gleichen Unvoreingenommenheit und Sorgfalt geprüft hat, die auch aus seiner Germania spricht. Das hat nichts mit Häme zu tun, aber Du wirst zugeben müssen, dass das Bild, welches seine Germania zeichnet, wenig mit der archäologisch dokumentierten und von Römern gut beobachtbaren Realität zu tun hat. Ich glaube nicht, dass ein Mangel an verläßlichen Quellen hierfür der Grund ist. Entweder hatte Tacitus zu solchen Quellen keinen Zugang, oder er hat sie sehr selektiv verwendet, um - hier folge ich Deiner Argumentation - die Erwartungshaltung seiner Leser zu befriedigen, und da auch er überzeugt von Germaniens Unwirtlichkeit war. Was auch immer der Fall war (wir werden es nie wissen), spricht nicht dafür, dass wir allein durch Tacitus Zeugnis sicher sein künnen, dass es sich beim saltus teutoburgiensis um ein Waldgebiet und nicht um eine Territorialbezeichmung der vor Varus existierenden, mit ihm untergegangenen Verwaltung der Germania Magna handelt.
 
Morgen El,

Wörtlich steht dort "von dort aus wurde das Heer bis zu den letzten (hintersten) Brukterern geführt und alles zwischen den Flüssen Ems und Lippe wurde verwüstet".* Wo liegt das Problem?

*...ductum inde agmen ad ultimos Bructerorum, quantumque Amisiam et Lupiam amnis inter, vastatum,...

Es ist in dem Text auch nicht das Wort omnis bzw. omnes für alles enthalten. Das ist wieder freie Interpretation.

Amisia et Lupiam, vastatum. (Amisia und Lupia, wurden zerstört.) Das Komma fungiert hier als Denkpause, auch wenn das in der Sprachforschung von einigen nicht so gesehen wird. Die Poetik des Textes ist dennoch unverkennbar.

Im Übrigen nicht dicebantur, sondern decebantur.

Grüße
 
@ El,

Kolon und Semikolon sind und bleiben Satzzeichen. Der Satz ALLES zwischen Ems und Lippe wurde zerstört ergibt keinen Sinn. Was alles ?
Ich wiederhole: Beschäftige dich mit mittelalterlicher Paläographie. Es gab damals, als der Tacitus-Text in Fulda abgeschrieben wurde, kurz nach der karolingischen Schriftreform, noch keine Semikola als Satzzeichen. Was du da siehst, ist die regelmäßig wiederkehrende Kürzung für quae oder que: "q;". Schau in den Cappelli oder jedes andere paläogrpahische Hilfswerk zu den Kürzungszeichen. Ich habe dir sogar die entsprechenden Seiten abgbildet. Hier noch einmal:

14169-bedeutet-saltus-051255.jpg

Das ist Standard zwischen Karolingerzeit und Hochmittelalter.

Hier noch mal der Ausschnitt aus dem Codex Mediceus I, in dem ich die Abkürzungen markiert habe:

Paläographie.png

"quantumq;" - quantumque
"legionumq;" - legionumque
"amisiā" - amisiam - Sehr schön mit bereits karolingisch reformiertem <a> im Anlaut und dem noch nicht reformierten "CC-<a>" (Tse-Tse-A) im Ablaut, typisch für diesen Zeitraum.
"uastatū" - vastatum
"ᵽcul" - procul (Kann ich leider nicht anders darstellen, per ist ähnlich, bei prae wird der Kürzungsstrich über das <p> gesetzt)
"reliquię" - reliquiae
"insepultę" - insepultae

Amisia et Lupiam, vastatum. (Amisia und Lupia, wurden zerstört.) Das Komma fungiert hier als Denkpause,
Du hast das amnes inter wegmanipuliert.

amisiam et lupiam amnes inter vastatum.png

Im Übrigen nicht dicebantur, sondern decebantur.
Tja, Abschreibefehler kamen auch im Mittelalter vor. Du wirst kaum annehmen dass Tacitus schreiben wollte:

"im Wald, wo die unbestatteten Überreste des Varus und seiner Legionen *gekleidet wurden"

So etwas käme nämlich heraus, wenn man decere nicht zu dicere emendierte.
 
zum Thema"germanische Unwirtlichkeit":
Wer mal in der Toscana war oder in Südfrankreich, so im September /Oktober, sry, die Norddeutschen Mittelgebirge und die norddeutsche Tiefebene sind "unwirtlich".

Es ist da im Süden doch wärmer und meist nicht so feucht wie hier. Das ist kein Topos, das sind nun mal Tatsachen.

Wie ein Libanese mal zu mir sagte, als er über seinen schlammigen Autoplatz guckte:
Was für ein kaltes, verfluchtes Land, es wird nie warm...
 
Erst sagst Du, Tacitus hätte lediglich die Erwartungen seiner Leser bedient.
Nein, das habe ich nicht gesagt. Weder "lediglich" noch "bedient". Lies bitte nochmal nach.

Der Vorwurf, Tacitus hätte Quellen absichtlich verfälscht (der übrigens von Dir impliziert wird, ich habe dies nicht gesagt), sei allerdings albern.
Das hast Du so nicht gesagt, richtig.
Wenn Du das auch nicht gemeint hast, umso besser.

Dann sehe ich auch nicht den geringsten Anlass zur Vermutung, dass in der unbekannten Quelle etwas ganz anderes drinstand, als das, was Tacitus mitteilt.


Was die Städte angeht, bin ich ziemlich sicher, dass römische Berichte über die Ruinen von Manching und von Tarodunum (Zarten bei Freiburg) vorlagen - planmäßig angelegt, für Zigtausend Einwohner, mit Stadtmauer, Steinhäusern, und Tempeln, wiewohl vermutliich ohne Thermen. Zugegebenermaßen keltisch, nicht germanisch
Auf der Gemarkung Wetzlars bestanden mindestens drei keltische Siedlungen.
Eben, das waren keltische Siedlungen.

Tacitus erwähnt zwar auch einige rechtsrheinische gallische Völker, aber in der folgenden Passage spricht er von der Siedlungsweise nicht der keltischen, sondern der germanischen Völker:

Nullas Germanorum populis urbes habitari satis notum est, ne pati quidem inter se iunctas sedes. Colunt discreti ac diversi, ut fons, ut campus, ut nemus placuit. Vicos locant non in nostrum morem conexis et cohaerentibus aedificiis: suam quisque domum spatio circumdat, sive adversus casus ignis remedium sive inscitia aedificandi. Ne caementorum quidem apud illos aut tegularum usus: materia ad omnia utuntur informi et citra speciem aut delectationem.

Es ist hinlänglich bekannt, dass keine Städte von den Völkern der Germanen bewohnt werden, ja nicht einmal untereinander verbundene Wohnsitze dulden sie. Sie wohnen getrennt und entlegen, wie eine Quelle, ein Feld oder ein Wald ihnen gefiel. Sie legen ihre Dörfer nicht nach unserer Sitte mit verbundenen und zusammenhängenden Gebäuden an: jeder umgibt sein Haus mit einem Zwischenraum, sei es als Mittel gegen Feuerunglück oder aus Unkenntnis des Bauens. Bei jenen findet nicht einmal der Gebrauch von Mauerstein oder Dachziegeln statt. Für alles nutzen sie unförmiges Bauholz und zwar ohne Zierde und Reiz.
Latein-Imperium.de - Tacitus - Germania - Kapitel XVI-XXVII: Privates Leben - Deutsche bersetzung

Ich weiß nicht, was Du daran auszusetzen hast. Das entspricht doch weitgehend der archäologisch dokumentierten Realität:

Allgemein können wir zum Siedlungswesen festhalten: Die Bevölkerung lebte auf einzelnen oder in kleinen Gruppen beieinander liegenden Gehöften. Ein Betrieb bestand aus einem Wohnstallhaus als Hauptgebäude und mehreren Nebengebäuden wie Scheunen, Speichern und Grubenhäusern. Etwa alle 30 Jahre, also ungefähr in jeder Generation, musste man die Holzgebäude ersetzen, und damit ging oftmals auch eine Verschiebung der Siedlungsfläche einher. Dabei wurde auf die Nähe zu einem Fließgewässer geachtet. Größere Dörfer oder stadtähnliche Siedlungen existierten nicht, ebenso wenig bauten die Germanen Häuser aus Stein.
Internet-Portal "Westflische Geschichte"

Der Bergbau im Sieger- um Sauerland lieferte das Blei für die Wasserleitungen einiger rümischer Militärlager, wird also auch von der einen oder anderen römischen Quelle erwähnt worden sein.
Tacitus liefert keine erschöpfende Aufzählung aller vorhandenen und nicht vorhandenen Bodenschätze, und man kann ihm auch keinen Strick daraus drehen, dass er das nicht tut. Er erwähnt beiläufig Silber und Gold (im Zusammenhang mit der Einstellung der Germanen zu Besitz und Handel) und Eisen (im Zusammenhang mit der Bewaffnung der Germanen).

Und die intensive, Jahrtausende alte Salzgewinnung in Soest, Heilbronn, Schwäbisch Hall etc. kann den Rümern auch nicht entgangen sein - die Bad Nauheimer Saline betrieben sie ja selbst weiter.
Die frühmittelalterliche Saline in Soest könnte Tacitus tatsächlich entgangen sein.
Heilbronn, Schwäbisch Hall und Bad Nauheim waren keltische Salinen.

und da auch er überzeugt von Germaniens Unwirtlichkeit war.
Um da einem weiteren Missverständnis vorzubeugen: Tacitus schreibt nicht, dass Germanien total unwirtlich sei, er erwähnt ja auch fruchtbares Land. Unwirtlich und scheußlich seien die Wälder und Sümpfe.
 
Im alten Wikipedia stand früher, dass die Römer nie in Thüringen waren. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern. Mittlerweile steht dort folgender Text:

"Die Römer herrschten zwar niemals in Thüringen, dennoch unterhielten sie Handelsbeziehungen und unternahmen einige Expeditionen dorthin."

Geschichte Thüringens ? Wikipedia

Stand 22. August 2014 um 12:35 Uhr


Wie sich die Zeiten ändern . . .

Das hast Du falsch in Erinnerung.
Die ursprüngliche Fassung des zitierten Satzes lautete am 21. Februar 2004 um 21:00 Uhr:

Die Römer herrschen zwar niemals in Thüringen, dennoch unterhalten sie Handelsbeziehnugen und unternehmen einige Expeditionen dorthin.
Geschichte Thüringens ? Wikipedia
 
In Werl, am Salzbach (direkte Nachbarschaft zu Soest), hat man ebenfalls Spuren von Salzgewinnung gefunden. Die sind vorrömisch datiert (späte vorrömische EZ) und dürften wohl "rhein-weser-germanischen" Ursprungs wesen sîn.

Dann hat Augusto wohl das gemeint?
Ausgrabungen im Nordwesten der Stadt legten Gruben zutage, die als Naturlehmpfannen zur Verdunstung von Salzwasser bereits im Neolithikum genutzt wurden. Weitere Funde von Briquetagen, bei denen es sich um trichterförmige, poröse Ziegelsäulen handelt, die zur Aufnahme und anschließenden Verdunstung von Salzwasser dienten, lassen eine Salzgewinnung in der vorrömischen Eisenzeit vermuten. Eine erste schriftliche Quelle zur Salzgewinnung bieten Aufzeichnungen des Klosters Werden an der Ruhr aus dem Jahre 890, in denen von einem Salzzins im Raum Werl die Rede ist, der als Landpacht an die Mönche des Klosters zu entrichten war.
https://www.lwl.org/LWL/Kultur/Westfalen_Regional/Wirtschaft/Industrie/Salzgewinnung
Ob das aber um 100 eine so bedeutende Industrie war, dass ihr Ruhm hätte bis Rom dringen müssen?
 
Ob das aber um 100 eine so bedeutende Industrie war, dass ihr Ruhm hätte bis Rom dringen müssen?

Bestimmt nicht. Aber es sagt ja niemand, dass dort durchgängig Salz gewonnen wurde. Zwischen der vorrömischen Eisenzeit und der dokumentarischen Ersterwähnung 890 liegen immerhin ca. 900 Jahre, von römerzeitlicher Ausbeutung der Salzgewinnungsanlagen ist nirgends die Rede.
In Soest allerdings gab es auch Salzgewinnung. Siehe auch den Salzteich, der selbst in kalten Wintern nicht zufriert. Ob dort vormittelalterliche Salzgewinnung betrieben wurde, keine Ahnung. Ob die Römer an der germanischen Salzgewinnung Interesse hatten? Ich weiß nicht. Deren Garum/Liquamen dürfte den Salzbedarf weitgehend gedeckt haben...
 
Aber es sagt ja niemand, dass dort durchgängig Salz gewonnen wurde. Zwischen der vorrömischen Eisenzeit und der dokumentarischen Ersterwähnung 890 liegen immerhin ca. 900 Jahre, von römerzeitlicher Ausbeutung der Salzgewinnungsanlagen ist nirgends die Rede.
Wenn da allerdings durchgängig das Salzwasser aus der Erde gesprudelt ist, liegt die Vermutung nahe, dass es auch in römischer Zeit genutzt wurde.
Es gibt halt nur keine Hinweise auf eine intensive, industrielle Nutzung in dieser Zeit.

Deren Garum/Liquamen dürfte den Salzbedarf weitgehend gedeckt haben...
Zur Herstellung von Garum braucht man allerdings auch Salz, oder nicht?
 
@Sepiola: Dass geht jetzt etwas OT, aber eigentlich auch nicht, da es ja um die Glaubwürdigkeit unseres "Kronzeugen" Tacitus geht. Also lass uns mal schön der Reihe nach seine Germania durchgehen. Zur Vereinfachung nutze ich die gleiche Übersetzung wie Du:

1. Kelten vs. Germanen: In Absatz 1 umgrenzt Tacitus das Objekt seiner Studie wie folgt:
Ganz Germanien wird von den Galliern und Rätern und von den Pannoniern durch die Flüsse Rhein und Donau, von den Sarmaten und Daziern durch wechselseitige Furcht oder Gebirge getrennt; das Übrige umgibt der Ozean, weite Buchten und unermessliche Inselräume umfassend
Er fährt dann fort:
2. Die Germanen selbst mag ich für Kinder des Landes halten und gar nicht durch andrer Völker Eindringen und Einkehren vermischt, (..)

4. Ich selbst trete den Ansichten Derer bei, welche glauben, daß Germaniens Völker, durch keine fremden Ehemischungen aus anderen Nationen unrein, ein eigenthümliches, naturächtes und nur sich ähnliches Geschlecht seien. (..)
In der Folge differenziert Tacitus zwar etwas:
29: Daß einst der Gallier Sachen stärker waren, sagt der hohe Gewährsmann, nun unter den Göttern, Julius; und darob ist es glaublich, daß auch Gallier nach Germanien hinübergingen. Denn wie wenig stand der Fluß im Weg, daß jedes Volk, wie es zu Kraft gekommen, Sitze nahm und Sitze tauschte, die bis dort herrenlos waren und durch keine Macht der Königsherrschaft abgesondert. Also hatten, was zwischen dem Waldgebirg Hercynia und den Flüssen Rhein und Main liegt, die Helvetier inne, das Jenseitige die Bojer, Beides ein gallisches Volk (..).

30: (..) Nicht zu Germaniens Völkern zähle ich, obgleich jenseits des Rheins und der Donau gesiedelt, Jene, so die Zehntlande bauen. Allerleichteste der Gallier und durch Noth verwegen haben diesen Boden zweifelhaften Besitzes eingenommen. Seit dann der Grenzwall gezogen ward und die Schutzwerke vorgeschoben, gelten sie als ein Vorland des Reichs und als Provinztheil.
Im Grunde aber unterscheidet Tacitus selbst nicht zwischen Kelten und Germanen auf nichtrömischem Boden, bzw. nimmt Reste letztgenannter nicht zur Kenntnis. So ist es für die Bewertung seiner Arbeit irrelevant, ob es um germanische oder keltische Aktivitäten/ Infrastruktur geht, so weit diese in der Germania Liberorum zu finden sind.

2. Landesnatur:
5. Das Land, obgleich in der besondern Erscheinung etwas verschieden, ist doch im Allgemeinen entweder durch Wälder schauerlich oder durch Sümpfe wüst; mehr feucht, wo es gen Gallien schaut, mehr windig, wo nach Noricum und Pannonien; für Getreide ergiebig, Fruchtbäumen (frugiferarum) widerstrebend, reich an Heerdethieren.
Nun denn. Als ich noch Student der Wirtschaftsgeographie war, hätte mir eine solche Aussage sicherlich eine "5" eingetragen. Dass es deutlich differenzierter geht, haben diverse andere römisch-griechische Geographen gezeigt. Mit Fruchbäumen meint er vermutlich v.a. Wein (wobei solcher ja durchaus heute, in kälterem Klime als während des ersten Jahrhunderts uZ, in Franken und Sachsen gedeiht). Weiter unten heisst es dann
28: Ihre Speisen sind einfach: Feldobst (agresta poma), frisches Wildfleisch, oder geronnene Milch.
So ganz Ernst kann das mit den Fruchtbäumen also nicht gemeint gewesen sein - hätte mich auch gewundert, wenn die schon für das Neolithikum bezeugte Kultivation von Äpfeln, Brombeeren, Haselnüssen, Schlehen etc. von den Germanen nicht auch gepflegt worden ware.
Der inherente Widerspruch beim Obstbau macht Informationsdefizite unwahrscheinlich. Eher scheint es, dass Tacitus vorliegende Berichte selektiv und voreingenommen interpretiert hat, frei nach dem Motto "wat de Buur nit kennt, fret he net!".

3. Bodenschätze:
5. (..) Silber und Gold ob gnädig oder ergrimmt die Götter versagten, entscheid’ ich nicht; doch möchte ich nimmer behaupten, daß gar keine Ader Germaniens Silber oder Gold zeuge, denn wer hat durchsucht?
6. Nicht einmal Eisen erübrigt, wie aus der allgemeinen Art ihrer Waffen hervorgeht.(..)
Dies ist nun eindeutig falsch. Früh-Kaiserzeitliche Eisenverhüttung im Siegerland, um Wetzlar (Waldgirmes!) herum und im Weserbergland (Markoldendorf) ist archäologisch bezeugt, und kann den Römern beim "Durchstöbern der Verstecke" nicht entgangen sein. Blei- und Silberproduktion gehen typischerweise Hand in Hand. Das Sauerländer Blei war den Römern wohl bekannt, wurde wohl auch von ihnen zeitweise selbst abgebaut, und am Harz führte Drusus Weg zur Elbe ja auch vorbei. [Dass das Harzhorn in der Nähe desselben liegt, und Pollendiagramme einen merkbaren Bevölkerungsrückgang am westlichen Harzrand in der zweiten Hälfte des 3. Jhd. anzeigen, sei nur nebenbei angemerkt] Das kein Römer Germanien nach Erzen durchsuchte, ist für mich auch nur schwer vorstellbar. Schließlich "vergisst" Tacitus dann noch, germanisches Blei zu erwähnen. Du sprachst vom "Herunterspielen des germanischen Wirtschaftspotentials". .Dies ist noch milde ausgedrückt!

4. Städte: Du hast die Germania diesbezüglich ja schon zitiert, die Wiederholung im ganzen kann ich mir sparen. An der allgemeinen Beschreibung vorherrschender Einzelgehöfte ist wenig auszusetzen, jedoch hätte ein gut informierter und unvoreingenommener Autor wohl hinzugefügt, daß diese Langhäuser waren, welche erheblich größer als typische römische Einzelgehöfte ausfielen.

Unterschlagen hast Du aus dem Wikipedia-Artikel über Wetzlar den Absatz zur germanischen Besiedlung aus der Zeit um Christi Geburt. Etwas mehr Details zur Siedlungs- und Verhüttungskontinuität um Wetzlar über keltische, römische und germanische Zeit finden sich hier:
https://www.uni-bamberg.de/fileadmi...ateien/Verhuettung_Artikel_Schaefer_klein.pdf
Belege für frühkaiserzeitliche Besiedlung mittelalterlicher bzw. heutiger Städte gibt es auch für andere Orte, etwa Soest, Paderborn, den Quedlinburger Schlossberg, die Würzburger Burg, oder Schöningen bei Helmstedt (Salz!). Für Haldensleben ist "eine kaiserzeitliche Großsiedlung des 1. Jh. n Chr. durch etwa 1.400 Befunde bezeugt". http://www.lda-lsa.de/fileadmin/pdf...Buchpraesentation_Haldensleben_2012-10-25.pdf
Dies mögen alle keine "urbes" im römischen Sinne gewesen sein, aber sie hatten sicherlich Siedlungsdichten und Funktionen (Markt, Handwerk, Thing etc.), die sie von normalen Dörfern absetzten. Tacitus selbst nennt Mattium als "caput" der Chatten. Seine Germania schweigt jedoch darüber, wie solche capita aussahen und welche Funktionen sie hatten. Dies ist umso merkwürdiger, als er ja der Beschreibung von Things selbst erheblichen Raum widmet (Abs. 10 & 11). Auch erwähnt er mehrfach Häuptlinge bzw. Könige, jedoch nicht deren Residenzen. Dass diese nicht ganz klein waren, können wir aus der Beschreibung der Belagerung des Haus des Segestes schliessen (Annalen I, 57). Insgesamt sind dies schon verdächtig viele Auslassungen von Informationen, die Tacitus eigentlich hätten vorliegen müssen.
 
Zum Salz:
Gerade wegen des garums war Salz im römischen Reich hochbegehrtes Handelsgut. Das "salarium", die Salzzuteilung an Legionäre, lebt ja immer noch als "Salär" bzw. Englisch "salary" fort, und das kaiserliche Salzhandelsmonopol entstand auch nicht ohne Grund. Nebeneffekt dieses Salzhandelsmonopols war, dass die Anlage privater Salinen an vielen Küsten verboten war, was den Salzmangel noch steigerte.

Vor diesem Hintergrund war der Salzreichtum Germaniens sicherlich ein wesentliches Eroberungsmotiv (und eigentlich auch von Tacitus erwähnenswert). Der Hellweg (sic!) verband eine Reihe von Salzstädten am nördlichen Mittelgebirgsrand, für die Salzgewinnung seit der Steinzeit mal besser, mal schlechter dokumentiert ist (und bei Soest habt ihr mich mit einem der nicht ganz so lückenlos dokumentiertem Beispiele erwischt). Beginnend in Halle/Saale (älteste archäologisch erwiesene Salzsiederei Mitteleuropas, Mitte des 4. vorchristlichen Jahrtausends) folgen, von Ost nach West, u.a. Bernburg (heute noch Salzabbau), Schöningen b. Helmstedt (frühkaiserzeitliche Salzsiederei archäologisch belegt), die berüchtigte Asse südl. Wolfenbüttel, das Kalirevier zwischen Hannover und Hildesheim, Bad Salzdethfurth, Halle/ Weser, Bad Pyrmont, Salzkotten, und dann schließlich Soest und Werl.
Eine zweite Achse verläuft südlich der Harzes über den Salzigen See bei Mansfeld, Bad Salzungen (frühgeschichtliche Salzgewinnung) und das Kalirevier an der Werra nach Bad Nauheim (keltische & römische Salzgewinnung). Die Forschung geht inzwischen davon aus, dass der Salzhandel entlang dieser Achsen schon in der Steinzeit bestand, bis in das salzarme Pariser Becken reichte, und die Grundlage der Michelsberger Kultur bildete:
http://web.rgzm.de/uploads/pics/Enceintes_MK_EAA_800x600.jpg

Insofern habe ich im Falle Soests aus der Existenz eines großen Erdwerks der Michelsberger Kultur unterhalb der heutigen Altstadt, Siedlungskontinuität über Eisen-, Römer- und Völkerwanderungszeit, und den frühmittelalterlichen Salinen interpoliert, dass die Salzsiederei wohl auch in römischer Zeit nicht ganz unwichtig war. Direkt archäologisch belegt ist dies jedoch bislang nicht.
 
@Sepiola: Dass geht jetzt etwas OT, aber eigentlich auch nicht, da es ja um die Glaubwürdigkeit unseres "Kronzeugen" Tacitus geht.
Geht es darum?
Ich halte diese Fragestellung für verfehlt.

Vor allem Deine Methode wundert mich.

Nur weil Tacitus Dir nicht den Gefallen tut, den "saltus teutoburgiensis" als Verwaltungsbezirk zu beschreiben, fängst Du jetzt an, seine Schriften zu verreißen?
Natürlich kann man bei Tacitus auf Fehlersuche gehen und wird auch fündig. Auch Tacitus konnte nicht vermeiden, dass er mal einem Irrtum aufgesessen ist, mal selber einen produziert hat. Und möglicherweise hatte er auch schon mal das Problem, von dem Du selber kürzlich geschrieben hast:
Tröste Dich, mein Kurzzeitgedächtnis ist auch nicht mehr das Beste..

Aber wozu soll das führen, Punkte aufzulisten, die Tacitus Deiner Meinung nach hätte erwähnen sollen?
Oder ihm posthum Zensuren im Studiengang Wirtschaftsgeographie zu verpassen?
Oder gar, ihm Dinge unterzuschieben, die er so gar nicht behauptet. Und dann laut "falsch!" zu schreien.
:confused:

Dies ist nun eindeutig falsch. Früh-Kaiserzeitliche Eisenverhüttung im Siegerland, um Wetzlar (Waldgirmes!) herum und im Weserbergland (Markoldendorf) ist archäologisch bezeugt
Was bitte ist "falsch"?
Schreibt Tacitus, es gäbe kein Eisen?
Er schreibt, es sei nicht im Überfluss vorhanden ("ne ... superest").
Dass die Germanen Eisenwaffen verwendeten, schreibt er einen Satz später. Auch von Schwertern, Helmen und Panzern schreibt er, nur seien die nicht so häufig. Eben nicht im Überfluss.

Im Grunde aber unterscheidet Tacitus selbst nicht zwischen Kelten und Germanen auf nichtrömischem Boden, bzw. nimmt Reste letztgenannter nicht zur Kenntnis.
:confused:

Mit Fruchbäumen meint er vermutlich v.a. Wein
Der wichtigste fruchttragende Baum aus römischer Sicht wird wohl der Olivenbaum sein. Den kultivierten die Germanen ebensowenig wie den Wein.

jedoch hätte ein gut informierter und unvoreingenommener Autor wohl hinzugefügt, daß diese Langhäuser waren
... in denen oft Mensch und Vieh unter einem Dach hausten. Das hätte Tacitus auch schreiben können, aber da will ich ihm auch keinen Strick draus drehen.

Dies mögen alle keine "urbes" im römischen Sinne gewesen sein
Sag ich doch. :fs:

Du sprachst vom "Herunterspielen des germanischen Wirtschaftspotentials". .Dies ist noch milde ausgedrückt!
Und Du fällst auf der anderen Seite vom Pferd und stellst Germanien als industrialisiertes Land dar, sehr milde ausgedrückt.

Der Hellweg (sic!)
sic?
Die Ortsnamen Hall, Halle, Hallein, Hallstatt und das Salz - hallelife.de | Online-Magazin aus Halle (Saale) | Nachrichten | Community für Halle (Saale) | Sehenswürdigkeiten, GastroGuide, Adress- und Linkverzeichnis
 
Zuletzt bearbeitet:
@Swpiola: Langsam geht mir Deine Methode, mich sinnentstellend zu zitieren bzw, systematisch erläuternde Sätze in meinen Beiträgen zu unterschlagen, etwas auf den Senkel!

Was bitte ist "falsch"?
Schreibt Tacitus, es gäbe kein Eisen?
Er schreibt, es sei nicht im Überfluss vorhanden ("ne ... superest").
Dass die Germanen Eisenwaffen verwendeten, schreibt er einen Satz später. Auch von Schwertern, Helmen und Panzern schreibt er, nur seien die nicht so häufig. Eben nicht im Überfluss.
Falsch ist, dass er schreibt, Silber sei den Germanen durch die Götter versagt. Und direkt im Anschluß an den von Dir zitierten Satz schreibe ich, warum dies falsch ist, und er auch hätte wissen müssen, dass dies falsch ist, aber genau das unterschlägst Du dann wieder! Zumindest extrem unglaubwürdig ist Tacitus Behauptung, niemand hätte je nach Gold und Silber in Germanien gesucht. Auch dies hast Du unterschlagen.

Dann drückst Deine Verwirrung über meinen folgenden Satz aus:
Im Grunde aber unterscheidet Tacitus selbst nicht zwischen Kelten und Germanen auf nichtrömischem Boden, bzw. nimmt Reste letztgenannter nicht zur Kenntnis.
Meinen nachfolgenden Satz hältst Du jedoch nicht für zitierwürdig
So ist es für die Bewertung seiner Arbeit irrelevant, ob es um germanische oder keltische Aktivitäten/ Infrastruktur geht, so weit diese in der Germania Liberorum zu finden sind.
Um Deiner Verwirrung entgegenzuwirken: Ich wollte damit ausdrücken, dass Deine vorher ausgedrückte Kritik, ich bezöge mich ja auf keltische Beispiele (wobei Du in dem Kontext auch schon - milde gesagt - extrem selektiv zitiertest), am Thema vorbei ging. Tut mir leid, dass ich da nicht deutlich genug für Dich geworden bin!

Wenn es um germanische Städte geht, zitierst Du meine Fußnote zu den Langhäusern, und unterschlägst die schwerwiegenderen Punkte zu Hauptorten und den Häuptlingsresidenzen. Kann ich davon ausgehen, dass Du hier auch schwer erklärbare Lücken bei Tacitus siehst (Schweigen ist Zustimmung), oder hattest Du andere Gründe, auf diese meine Argumente nicht näher einzugehen?

Zu Deinen ernstzunehmenden Punkten:
Der wichtigste fruchttragende Baum aus römischer Sicht wird wohl der Olivenbaum sein. Den kultivierten die Germanen ebensowenig wie den Wein.
Die Idee mit den Oliven war mir auch gekommen (ebeso übrigens Datteln). Aber zum einen empfinde ich den Begriff "fruchttragend" als sehr generalisierend. Gerade weil Ölbäume am Mittelmeer so wichtig sind, hätte ich in diesem Fall eine explizite Nennung erwartet. Im Übrigen sagt Tacitus, das Land (terra), nicht das Klima sei Fruchtbäumen widerstrebend. So kommt die Aussage doch sehr pauschalierend daher, und steht im Konflikt mit seiner nachfolgenden Beschreibung der germanischen Ernährung.
Ich halte diese Fragestellung für verfehlt.

Vor allem Deine Methode wundert mich.

Nur weil Tacitus Dir nicht den Gefallen tut, den "saltus teutoburgiensis" als Verwaltungsbezirk zu beschreiben, fängst Du jetzt an, seine Schriften zu verreißen?
Wie betreibst Du denn Quellenkritik? Fachkunde und Glaubwürdigkeit des Autors, seine Intention, und die Erwartung des Publikums, fallen mir so auf die Schnelle ein. Letztere hast Du selbst bereits gut beschrieben, die Intentionen Tacitus (Herunterreden des germanischen Wirtschaftspotentials) z.T. auch. Bleibt die Frage von Fachkunde und Glaubwürdigkeit, und da habe ich, je mehr ich von ihm lese, immer mehr Zweifel. Der "saltus teutoburgiensis" als Wald wäre ja nicht die erste von Tacitus Behauptungen, die nach langer unkritischer Übernahme durch die Geschichtswissenschaft inzwischen als unzutreffend verworfen worden sind. Hier sind ein paar Anmerkungen zu Tacitus Behauptung, die Markomannen unter Marbod hätten das Reich der Boii in Böhmen zerstört:
http://www.arup.cas.cz/wp-content/uploads/2010/05/Beharrungsvermögen.pdf

Und Du fällst auf der anderen Seite vom Pferd und stellst Germanien als industrialisiertes Land dar, sehr milde ausgedrückt.
Das es in der Tat, nach antiken Maßstäben, auch war, bis die Römer zunächst den Zugang zu gallischen und alpinen Absatzmärkten kappten, und dann (von Tacitus eindrucksvoll beschrieben) mehrfach mit Feuer und Schwert über Menschen, Tiere, Hauser und Gewerbe herfielen. Glaubst Du denn, die Nachfrage nach fränkischen Schwertern, die die Wikinger im 8. Jahrhundert trotz Exportverbots bis nach Bagdad schmuggelten, kam von ungefähr? Da gab es eine hochentwickelte Stahlindustrie östlich des Rheins, irgendwo zwischen Solingen, Siegen und Wetzlar, und die ist weder auf römischer Grundlage noch über Nacht entstanden! Die Kerninnovation des Mittelalters, die Drei-Felder-Wirtschaft, stammte nicht von irischen Mönchen, sondern entwickelte sich in der Germania Libera während der Klimaverschlechterung des 3./4. Jahrhunderts. Die eindrucksvollen, doch von Tacitus so gering geschätzten Fertigkeiten im Holzbau sind immer noch in englischen Hallen des 10./11. Jahrhunderts zu bewundern, und die erste bekannte Atlantiküberquerung erfolgte in Wikingerbooten, nicht mit römischen Galeeren. Das sächsische und böhmische Textilgewerbe hat auch eine verdammt lange Tradition...
Dies soll nicht römisch-mediterrane Beiträge (Schriftlichkeit, Mühlen, Steinbau, Stadtplanung etc.) mindern. Aber ich finde, es ist höchste Zeit, die ideologisch gefärbten Berichte römischer Autoren nicht immer für bare Münze zu nehmen, sondern als dass zu erkennen, was sie sind: Ideologisch gefärbte Berichte mit eigener Agenda!
 
Ich wiederhole: Beschäftige dich mit mittelalterlicher Paläographie. Es gab damals, als der Tacitus-Text in Fulda abgeschrieben wurde, kurz nach der karolingischen Schriftreform, noch keine Semikola als Satzzeichen. Was du da siehst, ist die regelmäßig wiederkehrende Kürzung für quae oder que: "q;". Schau in den Cappelli oder jedes andere paläogrpahische Hilfswerk zu den Kürzungszeichen. Ich habe dir sogar die entsprechenden Seiten abgbildet. Hier noch einmal:

Anhang anzeigen 14170

Das ist Standard zwischen Karolingerzeit und Hochmittelalter.

Hier noch mal der Ausschnitt aus dem Codex Mediceus I, in dem ich die Abkürzungen markiert habe:

Anhang anzeigen 14171

"quantumq;" - quantumque
"legionumq;" - legionumque
"amisiā" - amisiam - Sehr schön mit bereits karolingisch reformiertem <a> im Anlaut und dem noch nicht reformierten "CC-<a>" (Tse-Tse-A) im Ablaut, typisch für diesen Zeitraum.
"uastatū" - vastatum
"ᵽcul" - procul (Kann ich leider nicht anders darstellen, per ist ähnlich, bei prae wird der Kürzungsstrich über das <p> gesetzt)
"reliquię" - reliquiae
"insepultę" - insepultae


Du hast das amnes inter wegmanipuliert.

Anhang anzeigen 14172


Tja, Abschreibefehler kamen auch im Mittelalter vor. Du wirst kaum annehmen dass Tacitus schreiben wollte:

"im Wald, wo die unbestatteten Überreste des Varus und seiner Legionen *gekleidet wurden"

So etwas käme nämlich heraus, wenn man decere nicht zu dicere emendierte.

@El,

entschuldige, das amnes inter hatte ich in der Eile vergessen. Der Satz ändert sich aber dadurch nicht im geringsten.

Amisia et Lupiam amnes inter, vastatum.

(Amisia und Lupia zwischen den Strömen [Rhein und Elbe - denn diese waren bis dato in der römischen Welt bekannt!], wurden verwüstet.)

Waldgirmes wurde verwüstet. Das ist eine archäologische Tatsache. Ob nun von römischen Veteranen oder Germanen sei erst einmal dahin gestellt. Und es war eine Stadt in Gründung. Wenn das Gebiet zwischen Lippe und Ems verwüstet worden wäre, musst du Beweise für abgebrannte Siedlungen der Brukterer aus dem entsprechenden Gebiet erbringen. Die gibt es aber nicht. Auch das ist eine Tatsache. Das interessante ist aber, dass im westlichen Thüringen verbrannte Siedlungen der älteren Kaiserzeit gefunden wurden (z.B. Schwabhausen/Th).

decebantur von decere (es gehört sich)

https://www.latein.im/latein/decebantur

Tacitus fand es eine Unverschämtheit, dass die Leichen man nicht begrub.

Grüße
 
@El,

hast du dir mal Gedanken darüber gemacht, warum es bis auf Paderborn in der westfälischen Bucht keine Imitationen von Gaius-Lucius-Denaren gibt (nicht einmal in den Lagern), jedoch aber von Lugdunum Assen der Serie I (Waldgirmes, Haltern, Anreppen). Erstere findest du am meisten in West-Thüringen. Imitationen weisen in der Regel immer auf einen zivilen Kontext hin. Cassius Dio schreibt, dass die Barbaren sich den römischen Gewohnheiten angepasst hatten - bis Varus kam.

Kalkriese - 1 Exemplar
Paderborn - 1 Exemplar
Groß Lengden - 1 Exemplar
Hameln - 1 Exemplar
Aerzen - 1 Exemplar
Müllingen - 1 Exemplar
West-Thüringen - 14 Exemplare
 
@El,

entschuldige, das amnes inter hatte ich in der Eile vergessen. Der Satz ändert sich aber dadurch nicht im geringsten.

Amisia et Lupiam amnes inter, vastatum.

(Amisia und Lupia zwischen den Strömen [Rhein und Elbe - denn diese waren bis dato in der römischen Welt bekannt!], wurden verwüstet.)

Lippe und Ems waren bekannte Flüsse, an der Lippe reihten sich die Römerlager wie an einer Perlenkette auf, über die Ems ist Germanicus nach Germanien eingefallen. Hier haben wir den Stapelplatz Bentumersiel. Es werden in diesem Kapitel nirgendwo Rheine und Elbe genannt, das ist allein deine phantasievolle Hinzufügung, stattdessen aber wird explizit von der Mündung der Ems gesprochen (classis Amisiae ore relicta laevo amne, erratumque in eo quod non subvexit aut transposuit militem dextras in terras iturum - die Flotte wurde an der Mündung der Ems links des Flusses zurückgelassen und es war ein Fehler, dass er die Soldaten nicht auf das rechte Ufer in die zu begehenden Ländereien schaffte oder übersetzte Tac. ann. II, 8; zuvor hatte er die Flotte von der fossa Drusiana durch die Seen und den Ozean zum Emsfluss geführt: usque ad Amisiam flumen secunda navigatione pervehitur), explizit davon, dass man mit der Flotte über die Ems fuhr, dass Caecina durch das Gebiet der Brukterer zum Fluss Ems geschickt wurde (per Bructeros ad flumen Amisiam mittit, Tac. ann. I, 60).


...ad flumen Amisiam mittit... (Tac. ann. I, 60)
...quantumque Amisiam et Lupiam amnis inter vastatum... (Tac. ann. I, 60) - ich weiß, du möchtest die Wortgruppe auseinanderreißen, aber das ist grammatikalisch nicht zulässig und steht auch gegen die anderen Nennungen von Lippe und Ems.
mox reducto ad Amisiam exercitu legiones classe, ut ad vexerat, reportat... (Tac. ann. I, 63)
...ipse audito castellum Lupiae flumini... (Tac. ann. II, 7)
...ad Amisiam flumen... (Tac. ann. II, 8)
...Amisiae ore... (Tac. ann. II, 8)
...per flumen Amisiam Oceano invexit. (Tac. ann. II, 23)

decebantur von decere (es gehört sich)

https://www.latein.im/latein/decebantur

Tacitus fand es eine Unverschämtheit, dass die Leichen man nicht begrub.
Das mag er ja so empfunden haben. Aber das stünde dort trotzdem nicht, wenn man decebantur nicht zu dicebantur emendieren würde. Es würde schon die Verneinung fehlen. Es sollte sich ja nicht gehören, dass die Legionen unbestattet herumlagen. Vor allem aber hat decere diese Bedeutung nur, wenn es mit dem AcI steht (siehe dein Link!).
Wo aber siehst du diesen AcI?
reliquiae ist Nominativ. Ein Infinitiv ist auch nirgends zu sehen, alle Verben sind flektiert. Ergo kein AcI.

hast du dir mal Gedanken darüber gemacht, warum es bis auf Paderborn in der westfälischen Bucht keine Imitationen von Gaius-Lucius-Denaren gibt (nicht einmal in den Lagern), jedoch aber von Lugdunum Assen der Serie I (Waldgirmes, Haltern, Anreppen). Erstere findest du am meisten in West-Thüringen. Imitationen weisen in der Regel immer auf einen zivilen Kontext hin. Cassius Dio schreibt, dass die Barbaren sich den römischen Gewohnheiten angepasst hatten - bis Varus kam.

Wie wir wissen, wurden die Hermunduren von den Römern besonders bevorzugt, sie waren der Stamm, der das Privileg hatte, im römischen Reich Handel zu treiben: (Hermundurorum civitas, fida Romanis; eoque solis Germanorum non in ripa commercium, sed penitus atque in splendidissima Raetiae provinciae colonia... Tac. Germ. 41). Insofern ist es doch kein Wunder, dass die Hermunduren den entsprechenden Bedarf an Münzen hatten und ihnen die entsprechende Wertschätzung entgegenbrachten.

Du willst uns jetzt aber bitte nicht erzählen, dass Germanicus bei seinen Feldzügen 15/16 eine Luftlandeoperation durchgeführt hat, oder? Sonst wüsste ich nämlich nicht, wohin deine Argumentation gehen soll, welche die westfälischen Gebiete (in denen doch sehr viele Spuren der römischen Anwesenheit gefunden wurden) quasi überfliegt...
 
Wenn das Gebiet zwischen Lippe und Ems verwüstet worden wäre, musst du Beweise für abgebrannte Siedlungen der Brukterer aus dem entsprechenden Gebiet erbringen. Die gibt es aber nicht. Auch das ist eine Tatsache. Das interessante ist aber, dass im westlichen Thüringen verbrannte Siedlungen der älteren Kaiserzeit gefunden wurden (z.B. Schwabhausen/Th).
Grüße
Pollendiagramme aus dem westfälischen Mittelgebirgsvorland (wo das Bruktererland gelegen haben soll) zeigen einen merklichen Besiedlungsabfall um/ kurz nach Christi Geburt, der interessanterweise mit deutlichem Bevölkeungszuwachs östlich der Elbe korrespondiert. Eisenzeitliche Bevölkerungsdichten erreichte das Münsterland erst wieder, und zwar sprunghaft, in der frühen Völkerwanderungszeit. Schon komisch - eigentlich hätte die Region ja von der Nähe zur römischen Grenze und dortigen Absatzmärkten profitieren müssen.....
 
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