Ein Beispiel: Ich bin kein Experte für deutsche Rechts- und Verfassungsgeschichte, bezweifle aber, dass die Novemberrevolution 1918 auf Reichsebene und in den deutschen Teilstaaten strikt in Einklang mit der Verfassung des Kaiserreiches durchgeführt wurde. (Falls doch, lasse ich mich gerne eines Besseren belehren. Zumindest in Österreich war die Gründung der Republik definitiv ein revolutionärer Akt.) Haben also jene "Reichsbürger" Recht, die die Weimarer Republik und die BRD für illegal halten? (Ja, ich weiß, dass die "Reichsbürger" eher an das Deutsche Reich von 1945 anknüpfen als an das von 1918.)
Bei der Novemberrevolution würde ich argumentieren wollen, dass die Ordnung aus sich selbst heraus kollabiert ist.
Sie wurde ja nicht einmal von ihren eigenen Institutionen und Organen bekämpft, sondern von diesen zum Teil mitgetragen.
Der Chef der letzten Kaiserlichen Regierung Prinz Max v. Baden erklärte den Kaiser für abgsetzt, demissionierte und übertrug die Regierungsgeschäfte der Sozialdemokratie wofür es, da Regierugen nur vom Kaiser ernannt werden konnten, keine rechtliche Grundlage gab.
Der Kaiser selbst hielt sich nicht mehr in Deutschland auf, sondern ging auf Betrieben Hindenburgs von Spa aus in die Niederlande, unternahm keinen ernsthaften Versuch die Ordnung wiederherzustellen und dankte Ende November 1918 ab.
Militärs und zivile Stellen erklärten ihre Unterstützung für die provisorische Regierung.
Damit gab es nach meiner Kenntnis keine nach der Bismarck-Verfassung legale Regierung mehr, es gab auch keinen Kaiser mehr, der eine neue legale Regierung hätte ernennen können, der legale Nachfolger Kronprinz Wilhelm ging ebenfalls in die Niederlande, und dankte am 1. Dezember 1918 ab.
Ich weiß nicht, wie es mit den übrigen Prinzen aussah, schätze aber, dass es sich damit ähnlich verhielt. Wahrscheinlich hätte die Situation in irgendeiner Form eine gesetzliche Neuregelung der Thronfolge nötig gemacht.
Gesetzlich einen neuen Kaiser zu bestimmen, hätte vermutlich einen Eingriff in die Verfassung notwendig gemacht und das wiederrum wäre verassungsmäßig ohne das Mitwirken des Kaisers und einer legalen Regierung, die beide nicht mehr vorhanden waren, nicht mehr möglich gewesen.
Hinzu kommt, dass Kriegs- und Friedensschlüsse verfassungsmäßig auch nach den Oktoberreformen der Zustimmung des Kaisers bedurften.
Für die Kommandogewalt über die Truppen war nach den Oktoberreformen zwar der Regierungsschef interessanterweise mit verantwortlich, aber selbstredend nur der legale vom Kaiser ernannte und einen solchen gab es nicht mehr.
Man könnte also argumentieren, dass, eine Rückkehr zur Verfassungsmäßigen Ordnung nicht mehr möglich war, weil diese deren Organe sich selbst auflösten und sich den Veränderung fügten.
Hätten Wilhelm II. oder der Kronprinz sich geweigert abzudanken und wären als rechtmäßge Monarchen reaktivierbar gewesen, so dass sie verfassungsmäßig neue Regierungen ernennen, Wahlen hätten anordnen können und so dass ein legaler Friedensschluss möglich gewesen wäre, hätten sich die Weimarer Politiker natürlich die Frage stellen lassen müssen, woher denn ihr Staat seine Legitimation eigentlich bezöge.
Aber angesichts dessen, dass sich das poltische System des Kaiserreichs weitgehend selbst aufgelöst hatte könnte man natürlich argumentieren, dass der Umstand, dass die alte Ordnung aufhörte zu funktionieren vorraussetzte, dass die Begründung einer neuen Ordnung nicht mehr zu vermeiden war.
Grundsätzlich ist mir aber die Problematik, auf die du hinauswillst klar.
Eine auf Revolution begründete Ordnung hat argumentativ ein Problem, wenn sie die Revolution verdammt.
Wie sieht das aber in der Spanischen Geschichte aus?
Nach Ende der Diktatur Miguel Primo de Riveras und nach der Abdankung Alfonso XIII. kam es zur Begründung der 2. Republik. Die ging durch den Bürgerkrieg faktisch unter und wurde durch das Franco-Regime ersetzt.
Inwiefern kann man aber davon sprechen, dass der Franquismus durch eine Revolution beseitigt und darauf eine neue Ordnung gegründet wordenn wäre?
Nach meiner Ansicht gar nicht, weil es keinen Umsturz gab und sich die Transformation auf gesetzlichem Weg wohl durchaus legal entwickelte.
Dann wäre allerdings die jetztige Ordnung in Spanien selbst nicht auf Rvolution gegründet worden, es sei denn, man wollte Franco gedanklich überspringen bzw. darauf abstellen, dass ja schon der nicht legel gewesen sei und daher alles was auf ihm gründete auch nicht legal sein könnte.
Diese Argumentation würde man allerdings wahrscheinlich, wenn man sich in der spanischen Gechichte gut genug auskennt, wahrscheinlich bis zu den Karthagern zurück durchdeklinieren können.
Es sind also häufig schon auf gesamtstaatlicher Ebene kaum auf verfassungskonforme Weise Änderungen des Staatsaufbaus möglich. Umso schwieriger wird es, wenn nur ein Gliedstaat diese wünscht, aber von der Zustimmung des Gesamtstaates (auf dessen politische Willensbildung der Gliedstaat naturgemäß nur sehr begrenzt Einfluss hat) abhängig ist.
Gut, aber wäre die Alternative?
Würde man Sezession grundsätzlich gestatten, wäre damit der Zustand der Unregierbarkeit gegeben, weil jede wie auch immer gestaltete Einheit innerhalb eines Staates dann auf unpopuläre Schritte der Regierung mit Abspaltung reagieren könnte und vermutlich würde.
Wenn nun Katalonien sich von Spanien abspaltete wie lange würde es wohl dauern, bis sich Regionen innerhalb Kataloniens, die eigentlich mehrheitlich lieber bei Spanien bleiben wollen oder aus nochmal anderen Gründen von Katalonien abspalten würden?
Vielleicht kommt man ja dann irgendwann in den Touristenorten an der Küste auf die Idee, dass man die eigenen Tourismus-Einnahmen ungerne mit dem Nordwesten Kataloniens teilen möchte, kann ja sein.
Würde man Änderungen des Staatsaufbaus sehr vereinfachen, hätte natürlich so ziemlich jede Regierung die Möglichkeit sich durch einen solchen Umbau dagegen zu schützen wieder abgewählt zu werden, etc.
Es ist sicherlich kritikwürdig, dass die Hürden um Dinge ändern zu können tatsächlich sehr hoch sind, mir ist aber schleierhaft, wie Stabilität und Demokratie funktionieren sollten, wären sie das nicht.
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Ich sehe im Prinzip nur eine Möglichkeit, wie man das Problem vielleicht auflösen könnte und die würde darin bestehen Verfassungen innerhalb des Verfassungsrahmens selbst und unabänderlich mit einer Laufzeit zu versehen und ihre regelmäßige Bestätigung durch Zustimmung der Bevölkerung per Plebiszit einzuholen (wobei Regelmäßigkeit natürlich nur in entsprechend großen Intervallen, z.B. vlt. alle 20 oder 30 Jahre möglich wäre) und damit ebenfalls plebiszitär die Möglichkeit zu verbinden einzelne Elemente der Verfassung umzugestalten, wobei allerdings sowohl Grundrechte, als auch die Demokratie an sich, als auch die begrenzte zeitliche Gültigkeit, bzw. die Pflicht zur Neubestätigung so zu gestalten wären, dass sie nicht so ohne weiteres eingeschränkt oder abgeschafft werden könnten.
Auf die Art könnte man möglicherweise mehr Partizipationsmöglichkeiten erreichen, Verkrustung und Reformstau etwas vorbauen, ein hinreichendes Maß an Stabilität aufrecht erhalten und die Vorstellung eines "Gesellschaftsvertrags" ein wenig mehr aus dem Bereich der bloßen Fiktion in die politische Realität holen, insofern dann jeder wenigstens ein oder zwei mal im Leben an der Gestaltung der Grundlagen der Gesellschaft tatsächlich mitwirken könnte.
Wobei ich die spanischen Verhältnisse nicht gut genug kenne um mir ein Bild davon machen zu können, ob man sowas in der Verfassung dort unter bekommen könnte.
Eine Sezession nur um dann die gleiche Probleme, die es mit der Partizipation und den Spielräumen vorher gab, gleich wieder einzufühen, erscheint mir demgegenüber nicht als besonders sinnvoll.